Rezension

Eine Aufforderung zum bedachten Innehalten

Im Land der Wolken - Alexandra Helmig

Im Land der Wolken
von Alexandra Helmig

Bewertet mit 5 Sternen

Langeweile und Nichtstun gibt es im Land der Wolken nicht. Bunte Wolken, voller Ideen, ziehen am Himmel vorbei. Es gibt so viele, dass die Menschen Angst haben die besten zu verpassen. Sie springen pausenlos von einer Wolke zur nächsten. Nur ein Junge, namens Henry, macht nicht mit. Er bekommt Kopfschmerzen von den vielen Wolkenideen und liegt lieber im Gras. Von der Gesellschaft ausgeschlossen, beobachtet er die Wolken aus der Ferne allein. Dies ändert sich, als Sara in die Stadt zieht.

Im Land der Wolken ziehen wunderschöne Wolken in allen Farben des Regenbogens, angefüllt mit zahllosen Ideen, am Himmel vorbei. Sie animieren die Menschen, ihnen ununterbrochen zu folgen. Niemand kennt Langeweile, denn alle haben Angst sie könnten die beste Wolke verpassen. Ein wirklich merkwürdiger Junge, namens Henry, schließt sich diesem Treiben allerdings nicht an. Er bekommt von den vielen Ideen Kopfschmerzen und liegt lieber auf der Wiese. Die Erwachsenen finden sein Verhalten seltsam, die Kinder haben Angst sie könnten sich bei ihm anstecken. Henry ist sehr einsam, bis Sara in die Stadt zieht. Sara ist hübsch und mutig. Sie interessiert sich für Henry und fragt was er da eigentlich den ganzen Tag tut. Henry antwortet, er tut nichts. Sara setzt sich neben ihn und plötzlich ist Henry nicht mehr einsam. Gemeinsam tun sie Nichts und schauen in den Himmel. Das interessiert auch die anderen Kinder. Sie bleiben stehen, beobachten die beiden und warten darauf, dass etwas Aufregendes passiert. Doch es ereignet sich Nichts. Das ist für alle eine ganz neue Erfahrung. Die schillernden Wolken ziehen langsam vorbei und lösen sich auf. Sie geben den Blick auf die Häuser der Stadt frei. Für den Moment sind die bunten Wolken vergessen und Henry steht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

Die zarten, farbigen Illustrationen von Anemone Kloos, in Verbindung mit der feinsinnigen Geschichte von Alexandra Helmig, machen dieses Buch zu einem kleinen Kunstwerk, welches zum Nachdenken anregt. Es eröffnet die Sicht auf Ausgrenzung durch Mainstreaming, Langeweile, Stress und Überforderung, ohne es wirklich anzusprechen, aus einer sehr kindlichen Perspektive. Alles ist so wundervoll in zarte Pastellwölkchen und -farben verpackt, dass sich erst nach dem zweiten und dritten Lesen die gesamte psychologische Bandbreite dieses Werkes erschließt. Themen wie Überforderung, Stress, Konsumzwang und Burnout haben längst alle Kinderzimmer erreicht. Bereits von kleinen Kindern wird neben Kindergarten und Schule durch zahlreiche Bildungsangebote mehr gefordert, als diese oft leisten können. Die tägliche, nie zu stoppende Flut an zusätzlichen Informationen durch Smartphone, Werbung und Fernsehen kommt noch hinzu. Sie ergießt sich ungehindert in die kleinen Köpfe, wie ein defekter Wasserhahn in eine randvolle Schüssel. Als Folge sind Konzentrationsprobleme, Aggressivität, Nervosität und Hyperaktivität bei Kindern in allen Altersgruppen zunehmend spürbar. Nichtstun wird nicht als Erholung für den Geist empfunden, sondern als unangenehm und langweilig. Henry, dem Protagonist dieses Buches, gelingt es sich von den Einflüssen zu distanzieren, weil er schnell unter Kopfschmerzen leidet. So wird er zum belächelten Außenseiter. Als Sara sich ihm anschließt ist er nicht mehr allein. Nichtstun ist keine Zeitverschwendung, sondern eine Ruhepause, welche wesentlich zu einem gesunden Körper und Geist beiträgt. Man muss nicht immer dem Mainstream folgen und auf jeden neuen Trend aufspringen. Sonst wird das Leben fremdbestimmt. Besonders die Kinder werden so ihrer Individualität und Fantasie beraubt. Das zeigt dieses Buch sehr schön am Ende. Die Kinder wenden sich von den glitzernden Wolken ab und sind trotzdem glücklich.

Mit den fantasievollen Illustrationen wird der Text nicht nur verbildlicht, sondern sein Interpretationsspielraum auch deutlich erweitert. Die zauberhaften Zeichnungen wurden mit Aquarellfarbe zart, bunt und fantasievoll koloriert.

Dieses Buch eignet sich für Kinder ab 3 Jahren. Wegen der vielen tiefgreifenden psychologischen Denkansätze ist es aber auch ideal für Projekte zu Stress und Aggressivität in der Grundschule. Zeilenabstand, Schriftgröße, Textumfang und Textaufteilung machen es perfekt für Erstleser.

Fazit: Eine Geschichte, die zum Innehalten und zur Langsamkeit auffordert. In einer durchgeplanten Welt, mit ständig vollen Terminkalendern, in der Worte wie „Zeitmanagement“ und „Optimierung“ eine Rolle spielen, bildet diese Aufforderung einen überlegenswerten Gegensatz.