Rezension

Eine fiebrige, surreale Reise durch die Nacht

Weiße Nacht -

Weiße Nacht
von Bae Suah

Bewertet mit 5 Sternen

Ein magisch-realistischer Strudel aus Ereignissen und Zeitebenen, in den man unweigerlich hineingerissen wird.

"Weisse Nacht" von Bae Suah ist ein dünnes Büchlein mit gerade einmal 160 Seiten. Wir begleiten die mittzwanzigjärige Protagonistin Ayami, die nach der Schließung des Hörspieltheaters ihren Job verloren hat. Sie weiß nicht vie über ihre Wurzeln, ist auf der Suche, ist gleichzeitig nahbar und schwer greifbar. Gemeinsam mit dem ehemaligen Direktor des Theaters spricht sie über ihre Zukunft, nimmt Deutschunterricht bei einer mysteriösen Lehrerin, stößt auf einen Dichter.

Schnell werden Grenzen zwischen der realen Welt und anderen Welten durchbrochen, springt der Roman zwischen verschiedenen Zeiteben, macht Andeutungen, schafft scheinbare Klarheit, reißt uns dann wieder aus dieser Sicherheit heraus, spielt mit den Grenzen zwischen Realität und allem anderen - Traum, Übersinnlichem - und so passiert auf diesen wenigen Seiten ziemlich viel. In dem Sinn ist auch das Cover sehr passend, da es ebenso verwirrend wie hypnotisch ist und damit ziemlich genau das ankündigt, was die Leser*innen im Buch erwartet.

Stellenweise war ich etwas verloren, musste mich durch scheinbar zusammenhanglose Passagen wühlen, fragte mich wohin die Geschichte führt, um dann einige Seiten später festzustellen, dass genau diese oder jene Plotentwicklung sich schon lange angedeutet hatte. "Weisse Nacht" ist daher nicht nur wegen des sprunghaften Aufbaus herausfordernd, sondern auch, weil es immer wieder scheinbare Gewissheiten dekonstruiert und dabei so klug aufgebaut ist, dass es uns gleichzeitig im Unwissen lässt und die angedeutete Auflösung vorbereitet.

Trotz oder gerade wegen der Ambivalenzen, die ich während des Lesens durchgemacht habe, wurde ich eingesogen und wollte einfach nur weiterlesen.

Wer surreale Bücher mag, wer von Murakami nicht frustriert ist und Han Kangs "Vegetarierin" etwas abgewinnen konnte und wer keine klaren Auflösungen oder Stringenz in Büchern sucht, wird mit diesem Buch garantiert viel Lesefreude haben - mir hat es sehr gefallen und ich mag diese Mischung aus Magie und Realismus, die in vielen japanischen und koreanischen Büchern transportiert wird.  
Wer lieber klar strukturierte Plots mit eindeutiger Auflösung mag, rauft sich eventuell die Haare.