Rezension

Eine Frage der (Eigen)Verantwortung

Magersucht ist kein Zuckerschlecken - Mara Schwarz

Magersucht ist kein Zuckerschlecken
von Mara Schwarz

Bewertet mit 5 Sternen

Mara Schwarz ist magersüchtig, seit sie im Alter von 13 Jahren sexuell missbraucht wurde. Mit 27 wird sie an ein Hospiz verwiesen. Ihr soziales Umfeld sowie Ärzte und Therapeuten haben sie aufgegeben. Dies ist für sie ein Schlüsselerlebnis. Am absoluten Tiefpunkt ihres Lebens stehend erkennt sie, dass sie nicht sterben will und wendet sich wieder dem Leben zu. Mit 29 schreibt sie anhand von Tagebuchaufzeichnungen ihre Autobiographie. Diese hat ein offenes Ende - die Zukunft ist ungewiss. Bei einer Essstörung gibt es keine Heilung und kein Happy End. Aber es gibt Hoffnung auf ein Arrangement mit der Sucht und dem (leider in diesem Fall essentiellen) Suchtmittel, das der Lebensfreude nicht den Garaus macht. Und diese Hoffnung will das Buch vermitteln.

In einem "9-Gänge-Menü durch die Hölle" beschreibt die Autorin ihre persönlichen Erfahrungen mit der Essstörung und deren vielfältigen Ausprägungen - sie nennt es die Anorexie-Krake und empfindet diese als Feind - auf der einen Seite und den Phasen der Behandlung derselben auf der anderen. Das Buch wird immer wieder unterbrochen von Bildern und Gedichten, die allesamt sehr selbstverneinend und negativ wirken, aber gut widerspiegeln, in welchem Zustand die Schreiberin sich befand.

"Nichts ist einer Essstörung förderlicher als ihre Behandlung"
Dieses Zitat ist für Mara Schwarz im Rückblick ein Leitgedanke. Ich persönlich würde das aufgrund eigener Erfahrungen sehr viel differenzierter betrachten wollen und kann der Aussage nur sehr bedingt zustimmen. Ohne Behandlung wäre ich nicht da, wo ich heute bin. Aber während und auch einen geraumen Zeit nach der Behandlung war dieser Effekt nicht erkennbar. Die Behandlung einer Essstörung zielt nicht auf das gestörte Essverhalten ab. Und in diesem Zusammenhang gebe ich der Autorin vollkommen recht: je weniger Beachtung dem Essverhalten geschenkt wird, desto weniger gestört ist es. Die Behandlung greift viel tiefer und ist ein extrem langwieriger Prozess, der im Unbewussten abläuft, und dessen Erfolg sich oft erst (zu) spät einstellt.

Da die Autorin alles aus ihrer persönlichen Sicht beschreibt, kann man die Wirkung ihres Erscheinungsbildes und Verhaltens auf die Umwelt nur erahnen. Obwohl sich ihr so viele helfende Hände entgegen strecken, schafft sie es nicht, sich aus den Fängen der Krake zu befreien. Die notwendige Stärke bekommt sie erst im Angesicht des Todes. 

Das Buch ist schwere Kost und für Betroffene nicht unbedingt empfehlenswert, weil es sehr triggert, auch wenn auf Tipps und Tricks verzichtet wurde. Für Angehörige, Interessierte und auch Fachleute ist es hingegen sehr empfehlenswert, da es quasi einen Blick hinter die Kulissen bietet und das seelische Leid der Betroffenen sehr gut zum Ausdruck bringt. Vielleicht schafft es Verständnis für das irrationale Denken und Handeln und führt zur Optimierung der Behandlungsmethoden.