Rezension

Eine Geschichte übers Anderssein

Mein Weg aus unsichtbarer Tinte - Kat Yeh

Mein Weg aus unsichtbarer Tinte
von Kat Yeh

Inhalt:
Beatrix weiß sehr genau, wie schnell man diese eine Person, die einem so wichtig ist und der man alles anvertrauen konnte, von einem Tag auf den anderen verlieren kann. Seit ihrer Rückkehr aus dem Urlaub ist zwischen Beatrix und ihrer besten Freundin irgendwie nichts mehr wie vorher. Die beiden haben sich auseinandergelebt. Auch die eigenen Eltern haben ständig nur ihre jeweiligen Kunstprojekte im Kopf.
Trost findet Beatrix in ihrer Kunst. Sie verwendet dazu die Form des Haikus, der traditionellen japanischen Gedichtform aus siebzehn Silben. Kurze Gedichte, in denen Worte nicht verschwendet werden, in denen alles genau an seinem richtigen Platz sitzt. Diese Haikus schreibt Beatrix mit Geheimtinte auf kleine Zettel und versteckt sie in einem kleinen Schlitz einer Mauer. Jeden Tag schaut sie nach, ob jemand ihre Worte gefunden hat und plötzlich erhält sie sogar eine Antwort.
Als wenn das nicht schon aufregend genug wäre, spricht sie in der Schule auch noch Mrs. Rod, die Bibliothekarin und Leiterin der Broadside Readaktion an. Mrs. Rod möchte Beatrix unbedingt in ihrem Kurs haben. Beatrix sagt zu und lernt plötzlich eine Menge netter Menschen kennen. Bald schon muss sie sich fragen, ob einer davon nicht sogar derjenige sein könnte, der ihre Briefe beantwortet hat. Aber spielt das überhaupt noch eine Rolle, wenn man plötzlich eine Mission hat? Nämlich die, ein geheimes Labyrinth zu entdecken?

Wichtigste Charaktere:
Beatrix lebt in einem Künstlerhaushalt. Ihre Mutter malt Bilder mit nacktem Blau, ihr Vater zeichnet Comics und ist sehr oft auf Conventions unterwegs. Sie selbst liebt Haikus und schöne Musik.
Will führt ein Leben in Listen. Er mag es nicht, wenn sich etwas grundlegend verändert. Er kennt den Unterschied zwischen Labyrinthen und Irrgärten und möchte nichts lieber als einmal im Leben das unter Verschluss gehaltene Leland-Labyrinth erkunden.
Briggs trägt sein Herz auf der Zunge. Er kann Beatrix Gedichte zitieren und er hat dieses unglaublich süße und einnehmende Lächeln.
S war Beatrix beste Freundin. Doch nun hängt sie nur noch mit A, L und L herum.

Schreibstil:
Beatrix war schon immer etwas Besonderes. Aufgewachsen in einem Haushalt, in dem jeden Tag gezeichnet wird und in dem es okay ist, wenn man sich mal eine Auszeit von der Schule gönnt, weil jeder Mensch einfach mal ab und an einen Seelentag braucht, scheint es nicht verwunderlich, dass das Mädchen manchmal etwas ziellos wirkt. Halt findet Beatrix in dem Schreiben von Haikus.
Die Gedanken, die Beatrix hat, schreibt sie auf kleine Zettelchen und verbirgt diese gleich in zweifacher Weise. Sie schreibt ihre Worte mit einer Geheimtinte, die man nur lesen kann, wenn man ein Streichholz unter das Blatt Papier hält. Schließlich steckt sie die Zettel in den Spalt des „Portals“ einer Mauer, die auf ihrem Weg zwischen der Schule und ihrem Zuhause befindet. Eigentlich wünscht sich Beatrix nichts mehr, als dass diese Gedanken gelesen werden, doch andererseits hat sie auch Angst davor. Als sie eines Tages eine Antwort auf einem ihrer Briefe findet, freut sie sich dennoch sehr.
Aber auch in der Schule passiert einiges. Nach der Einladung von Mrs. Rod in die Broadside Redaktion muss Beatrix feststellen, dass sie mit ihrer Art von Anderssein gar nicht so alleine ist. Diese kleine Gemeinschaft hält zusammen und irgendwie sind alle große Fans von Beatrix Gedichten, die sie damals geschrieben hat und die ihren Haikus nur noch entfernt ähneln.
Hatte ich über die ersten Seiten des Buches vielleicht ein wenig Schwierigkeiten in die Geschichte hineinzufinden, weil der Rote Faden nicht so recht erkennbar war, gelang es mir nach dem ersten Drittel so richtig in die Geschichte einzutauchen. Mit Beatrix lernt der Leser eine Protagonistin kennen, die anders ist. Sie versteckt ihre Gefühle und ihre Gedanken hinter einer Mauer und versucht sich anzupassen. Dabei steckt sie voller außergewöhlicher Ideen und hat ein großes Herz. Erst durch die Crew der Broadside Redaktion gelingt es Beatrix ihr wahres „Ich“ zu zeigen. Hier trifft sie auf Mitschüler, die sie nehmen, wie sie ist und die ebenfalls ein wenig anders sind. So begegnet man hier zum Beispiel Briggs, der versprochen hat, mit Will „Freundschaft zu schließen“ und somit ein wenig auf den Jungen aufzupassen, der sein Leben in Listen lebt und sehr strukturiert denkt. Oder Jaime, der besten Freundin von Briggs, die immer gute Laune hat und gerne Beatrix Freundin wäre.
Die Spannung zieht dieses Buch aus der Frage, wer wohl der anonyme Briefeschreiber ist, der Beatrix auf ihre Haikus im Portal geantwortet hat. Beatrix lässt sich im Verlauf dieser Geschichte jedoch auch auf ein Abenteuer ein, welches schon im Vorfeld ein paar Gefahren offenbart und gut durchdacht sein will. Natürlich möchte man auch wissen, ob Beatrix die Freundschaft zu S wieder kitten kann und welcher Name überhaupt hinter diesem ominösen Buchstaben steckt. Aber vielleicht wird Beatrix ja auch andere Freunde finden und an ihren Erlebnissen wachsen? All das werdet ihr erfahren, wenn ihr "Mein Weg aus unsichtbarer Tinte" lest.
Ein schönes Special, das die Autorin ihren Leser/innen bietet und das ich euch auch an dieser Stelle nicht verheimlichen möchte, ist die Playlist am Ende des Romans. Hier finden sich viele schöne Songs, die in Beatrix auf ihrem Weg begleiten. Ein kleines Stichwort hinter jedem Lied verrät, an welcher Stelle ihr es am besten hören solltet.

Fazit:
In „Mein Weg aus unsichtbarer Tinte“ geht es um Kunst und um Freundschaft. Es ist die Rede von Figuren, die sich wünschen, aus der Alltagsbanalität auszubrechen, da sie alle auf irgendeine Weise etwas Besonderes sind. Es geht um Haikus, Seelentage und Hymnen, die man braucht, um glücklich zu sein. Wer sich darauf einlassen kann, wird dieses Buch mit großem persönlichen Gewinn lesen. Es entwickelt sich eine zauberhafte Geschichte, die einen nicht so schnell wieder loslassen wird.
Ich empfehle dieses Buch an jüngere und ältere Leser/innen, die gerne ein Abenteuer der besonderen Art erleben möchten. An diejenigen unter euch, die Labyrinthe schon immer lieber mochten als Irrgärten und an Menschen, die schon immer etwas anders waren.

Buchzitate:
… manche Ideen sind vielleicht besser als andere, aber sie sind alle Teil deiner inneren Entwicklung. Ob gut oder schlecht, sie machen dich zu dem Menschen, der du bist, und helfen dir, zu dem zu werden, der du mal sein wirst.