Rezension

Eine gut verständliche Darstellung unserer Gesellschaft, die über das Nachdenken zum Handeln auffordert. Ein Plädoyer für mehr Mitgefühl.

Mitfühlen - Melanie Mühl

Mitfühlen
von Melanie Mühl

Bewertet mit 4 Sternen

Wer sich verschließt, der wird auch sich selbst nie kennenlernen.

Melanie Mühls Sachbuch „Mitfühlen. Über eine wichtige Fähigkeit in unruhigen Zeiten“ ist im September 2018 im Carl Hanser Verlag erschienen und umfasst 182 Seiten.

Viele beklagen den Werteverlust in der heutigen, westlichen Gesellschaft. Anhand des Mitgefühls spürt Melanie Mühl diesem nach, führt Beispiele an und stellt Perspektiven auf, indem sie fragt, was wir diesem Verlust entgegenzusetzen haben, wie wir ihm entgegenwirken können.

Zentral für Mühls Ausführungen ist die Unterscheidung zwischen den im Alltag oft synonym verwendeten Begriffen „Empathie“ und „Mitgefühl“. Das „Mitgefühl“ nämlich übersteigt die bloße „Empathie“, indem es ein Handeln, die eigene Aktivität, die der Empathie folgt, impliziert.

Mittels zahlreicher Beispiele erörtert die Autorin, woran sie den Werteverlust festmacht. Dabei finden sich die Leser/innen oft wieder, entstammen doch die Darstellungen zumeist unseren Erfahrungen, inklusive den Medien. Es werden aktuelle Themen wie bspw. Fremdenfeindlichkeit, „Gaffer“ oder verweigerte Hilfeleistung angesprochen. Dabei vergisst sie nicht, auch sich selbst kritisch zu hinterfragen, was wiederum zu einer Identifikation und einem Hineinhören in sich selbst animiert. Zahlreiche wissenschaftliche Studien und Versuche untermauern zudem ihre Aussagen und lassen die Leser/innen wenigstens ansatzweise nachvollziehen, wie es zu dieser Entwicklung kommen konnte und kann. Darüber hinaus veranlassen diese die Lesenden, sich selbst zu durchleuchten und – hoffentlich – zu reflektieren. Dieses Reflektieren wiederum ist immens wichtig, selbst aktiv und veränderungsbereit zu werden, denn: Wir sind unseren Gefühlen nicht hilflos ausgeliefert, können wir sie doch „überlernen“.

Durch die Realitätsnähe und Wissenschaftlichkeit ist Mühls Argumentation leicht und logisch nachvollziehbar. Die Sprache der Autorin ist allgemein verständlich, auf wissenschaftliche Begriffe und zu weite Ausschweifungen wird zugunsten der Lesbarkeit verzichtet.

Den Abschluss dieses Bandes bildet ein Literaturverzeichnis, anhand dessen sich Interessierte weiter informieren können.

Ein wenig zu knapp geraten sind meiner Meinung nach Lösungsansätze, von denen ich mir mehr und vor allem praktikablere gewünscht hätte.

Für diejenigen, die sich – so wie ich – schon immer gefragt haben, wie es um das Mitgefühl in unserer Gesellschaft insgesamt bestellt ist, welche Einflüsse auf dasselbe es eigentlich gibt und welche Auswirkungen sie haben, ist die Lektüre dieser Schrift sehr empfehlenswert. Ich persönlich habe aus dieser Lektüre viele neue Einsichten und Denkansätze erhalten, die auch bestimmt Auswirkungen auf mein weiteres Tun und den Umgang mit diesem Thema haben werden. Nur eines bietet dieses Buch nicht: schnelle Lösungsansätze. Aber dafür ist dieser Gegenstand wahrscheinlich auch viel zu komplex. Und schließlich sind wir als „intelligente“ Wesen dazu fähig, unser Verhalten immer wieder bewusst zu steuern und so von der Empathie zum Mitfühlen zu gelangen. Allein: Es braucht Einsicht, Willen und natürlich Anstrengungsbereitschaft.