Rezension

Eine Leseempfehlung!

Goldstein - ein phantastisches Leben -

Goldstein - ein phantastisches Leben
von Anja Scherz

Bewertet mit 5 Sternen

Anja Scherz erhält von einer Freundin den Auftrag, die unvollständigen Memoiren deren jüngst verstorbenen Ehemannes Raphael-Maria Goldstein, fertig stellen und mit Dokumenten bzw. Fotos zu ergänzen. Die Aufgabe klingt reizvoll und die Person interessant.

 

Raphael-Maria Goldstein behauptet nämlich von sich, 1949 als illegitimer Sohn von Otto Frank und einer Holocaustüberlebenden, also ein Halbbruder von Anne Frank, geboren zu sein. Er sei, weil seine Mutter nicht im Stande war, sich um ihn zu kümmern, der Familie Burger zunächst als Pflegekind übergeben worden und letztlich von den Burgers adoptiert worden. Von ihnen habe er den Namen Norbert Hans Burger erhalten. Im Nachkriegsdeutschland mit seinen zahlreichen (Halb)Waisen und dem schlechten Gewissen mancher Familien nicht unmöglich.

 

Scherz beginnt mit der akribischen Recherche, anhand des tabellarischen Lebenslaufes. Die Überprüfung mancher Daten stellen sich als schwieriges Unterfangen heraus. Denn, einerseits sind ein Großteil der möglichen Zeitzeugen bereits verstorben und andererseits ergeben die Dokumente, Quellen, sowie die Interviews mit Bekannten und Familienmitgliedern ein sehr diffuses, unübersichtliches Bild, das zunächst mehr Fragen aufzuwerfen als zu beantworten scheint. Zum Beispiel weiß niemand über den angeblich fast tödlichen Unfall von 1978 Bescheid, den er beschreibt und für so manche leere Stelle in seinem Leben verantwortlich macht.

 

Wir lesen Auszüge aus dem Manuskript, das zahlreiche Briefe an Anne Frank, enthält obwohl sie ja, wie allseits bekannt, bereits 1945 im KZ Bergen-Belsen gestorben ist. Das wäre an sich noch nicht verwunderlich, kann man solches als besonderes Stilmittel bewerten.

 

„Liebe Anne, mein Leben ist ein verworrener Weg zwischen Realität, gewünschter Realität, Ahnung, Wunschtraum und Fakten gewesen. Der gewünschte Beleg vieler Äußerungen kann nur unzulänglich erbracht werden. Dessen bin ich mir bewusst.“ (S. 128)

 

Erste Zweifel an seiner Vita treten schon zu Goldsteins Lebzeiten auf, als Esther-Maria Goldstein, die Frau, die als seine Mutter bezeichnet, auf einem Video der Nürnberger Prozesse als Zeugin auftritt, überhaupt keine Ähnlichkeit mit ihm hat. Darüber schummelt er sich hinweg.

 

In Burger/Goldsteins Arbeitszimmer entdeckt Anja Scherz zahlreiche Bücher, die Episoden enthalten, die quasi als passende Mosaiksteine und Versatzstücke in seine ganz persönliche Lebensgeschichte eingearbeitet erscheinen. Fiktion und Wahrheit verschwimmen mehr und mehr.

 

Burger/Goldstein verstrickt sich in einem Dickicht von Geschichten, er bricht Kontakte, die seine Konstruktion zum Einsturz bringen könnten, ab und wechselt häufig seinen Wohnort.

 

Ein winziges und witziges Detail am Rande, das sich auch auf dem Cover wiederspiegelt ist, das Tee trinken in quasi allen Lebenslagen des Norbert Hans Burger alias Raphael-Maria Goldstein, wenn er versucht „seine“ Herkunft zu „beweisen“.

 

Journalistin und Autorin Anja Scherz schafft es, in diesem, ihrem Erstlingswerk „Goldstein - ein phantastisches Leben“, einen Roman zu schreiben, der das facettenreiche Leben des Norbert Hans Burger alias Raphael-Maria Goldstein auferstehen lässt.

 

Wie ist es, sich eine Biografie eines anderen Menschen auszudenken und in diese zu schlüpfen? Kann das sachlichen Überprüfungen stand halten? Welche rechtlichen Konsequenzen könn(t)en daraus erwachsen? Ist das Identitätsdiebstahl? Oder Betrug? Ist es wie eine Kronzeugenregelung? Oder einfach der pathologische (?) Wunsch, jemand anderes zu sein?

 

Der ausgebildete Schauspieler ohne Abschluss, Norbert Hans Burger spielt mit Raphael-Maria Goldstein die Rolle seines Lebens.

 

Fazit:

 

Das Buch ist ein Meisterstück bis zur letzten Seite. Es entwickelt eine Sogwirkung, der man sich nicht entziehen kann. Gerne gebe ich hier 5 Sterne und eine Leseempfehlung.