Rezension

Eine Milieustudie die mich manchmal an meine Grenzen brachte. Trotzdem konnte es mich nicht gänzlich überzeugen.

Kühe - Matthew Stokoe

Kühe
von Matthew Stokoe

Bewertet mit 3 Sternen

Schlachthaus-"Idylle"

Triggerwarnung: Sodomie, physische wie psychische Vergewaltigung, Tierquälerei, detailierte Beschreibung von Gewalttaten.

Um eine aussagekräftige Rezension zu schreiben, welche andere potenzielle Leser darauf vorbereitet was sie darin erwartet, um entweder nicht blind hineinzustolpern, oder aber Liebhaber dieses Genres anzufixen, ist es notwendig ein paar Zitate aus dem Buch wiederzugeben (wobei ich mich auf die harmloseren beschränke), sowie Weniges zum Inhalt (was mich persönlich an meine Grenzen brachte) anzuführen. Dies könnte auf manche Leser verstörend wirken, daher empfehle ich Zartbesaiteten auf das Buch, wie auch auf meine Rezension zu verzichten! Danke für Euer Verständnis.

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Steven ist 25 Jahre alt. Im Fernsehen beobachtet er all die perfekten, fröhlichen Menschen und träumt davon, selbst das normale Glück zu finden. Vielleicht mit Lucy, die eine Etage über ihm wohnt - auch wenn ihre Besessenheit für Vivisektionen echt krank ist.
Aber Stevens Mutter würde das niemals zulassen. Sie hasst ihn und will ihn zerstören: »Sie verabscheuten einander seit dem Augenblick, als sie ihn aus ihrer Fotze gedrückt hatte. In der zugemüllten Küche hatte sie ihn auf dem Tisch, an dem sie heute noch aßen, aus dem blutigen Schlamassel zwischen ihren Beinen gezogen und verflucht. Und er hatte ihr, da er spürte, dass es sein ganzes Leben lang noch schlimmer kommen würde, gleich in die Augen gepisst.«
Als Steven Arbeit in einem Schlachthaus findet, offenbart ihm der unvorstellbar perverse Vorarbeiter Cripps, wie man durch das Töten von Kühen echte Erfüllung findet. Doch die Tiere beginnen mit Steven zu reden und sie bitten um Hilfe ...(Klappentext)

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Dieses Buch erschien in England bereits 1997 und wird von so manchen bereits als Horror-Klassiker bezeichnet. "Abartig", "Verstörend", "kranke Perversion" - das sind alles Bezeichnungen, welche man bezüglich des vorliegenden Buches liest. Aber man findet auch ebenso Titulierungen wie: "Begnadet", "Meisterwerk", "genialer Schreibstil".
Bis auf das "Meisterwerk" kann ich das alles unterschreiben. 
Ich habe mich also gewappnet etwas wirklich Verstörendes zu lesen...und doch war es zu wenig. Außerdem dachte ich, ich wäre aufgrund meiner Vorliebe zu Splatter- und Gore-Filmen doch etwas abgehärtet...falsch gedacht, denn bei gewissen Szenen stieg sogar ich aus (wobei das vermutlich ganz andere Szenen waren als bei so manch anderen Lesern). Hier muss jeder selbst entscheiden ob das Buch etwas für einen ist, oder man lieber die Hände davon lässt.

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"Er verzehrte sich vor Sehnsucht, sie nachzuahmen, Anteil zu haben an der Massennormalität, die wie Kathodenwellen über die toten Nächte seiner Einsamkeit rollte." (S. 16)

Steven lebt mit seinen 25 Jahren immer noch bei seiner Mutter, jedoch nicht weil es ihm im Hotel-Mama so gut gefällt, sondern weil ihm nichts anderes übrig bleibt und er auch gar nicht anders kann. Er ist nämlich der Sohn einer absolut gestörten Mutter, was sich schon allein dadurch offenbart, dass sie von sich in der 3. Person spricht. Wenn es nur das wäre, denn sie schenkt Steven kein warmes zu Hause voller Liebe, sondern die Hölle auf Erden in einer abgesifften Drecksbude. Sie hält ihn klein, gibt ihm rohen Schafsmagen oder ähnlich ekelhaftes Zeug zu essen und beschimpft ihn auf das Derbste.

"Wer sollte dich denn lieben, Steven? Ich habe da draußen gelebt, bevor du meine Fotze infiziert hast. Ich weiß, was die mögen und lieben. Dich ganz sicher nicht. Hast du gehört du kleiner Pisser? Dich ganz sicher nicht." (S. 68)

Er selbst wünscht sich nichts sehnlicher als ein normales Leben zu führen. Ein Leben wie die Menschen in den Filmen, in die er sich flüchtet...ein Leben wie alle Menschen dort draußen. Sie hasst ihn genauso wie er sie hasst. Ein abartiges Abhängigkeitsverhältnis schweißt Steven und seine Mutter auf kranke Weise zusammen. Bis Steven eine Anstellung im Schlachthaus bekommt und ihn Cripps, ein perverses Schwein von Vorarbeiter, unter seine Fittiche nimmt und ihm lernt wie man im Töten von Kühen Erfüllung findet, sexuell wie auch emotional.
Das Macht- und Abhängigkeitsverhältnis zwischen Steven und seiner Mutter  beginnt zu kippen....und dann beginnen auch noch die Kühe mit ihm zu sprechen. Auch sie begehren auf, verlangen nach Freiheit und auch sie wollen eine Verschiebung der Machtverhältnisse und dafür brauchen sie Stevens Hilfe.

Der Roman greift Themen auf wie Einsamkeit, zerstörende Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse und physischen wie auch psychischen Mißbrauch und das auf sehr unkonventionelle Art und Weise in der sich Ekelszenen und blutige Gewalt fast ohne Punkt und Komma aneinanderreihen.

"Die Klingen der Schere glitten mit einem leisen Knirschen zusammen und schnitten den Muskel des Rektums durch. Gummy schrie und übergab sich, Blut spritzte aus seinem durchgeschnittenen Arsch." (S. 127)

Hier werden Sodomie und das Essen von Exkrementen (die zwei Dinge an denen ich besonders zu knabbern hatte) genauso detailliert und bildhaft beschrieben wie auch die Gewaltszenen, aber auch der Seelenschmerz von Steven.
Trotzdem ist es fast schon so etwas wie provozierende literarische Kunst, denn hier trifft intelligente Tiefsinnigkeit auf abartiges Szenario und derbe Gossensprache.

"Das Muttertier. Die lieblose Hurenfotze stand über dem Gasherd mit seinen zwei Flammen und rührte ranziges Schweinefleisch in einer Pfanne um. Die Küche roch nach Gas, Öl und dem Gestank toter Fische zwischen ihren Beinen." (S. 11)

Wenn man es schafft in all den Abartigkeiten zwischen den Zeilen zu lesen, ist es mehr als nur blosse Aneinanderreihung von Ekelszenen. Es ist eine Milieustudie aus der Unterschicht Englands, die ein Leben ohne Perspektive, jedoch mit umso mehr psychischer und physischer Verwahrlosung, aufzeigt. Man erlebt die Entwicklung eines verstörten, traumatisierten und schüchternen jungen Mannes zu einem GEstörten, kaltblütigen Individuum, wie es seine Mutter ist, der im Grunde nichts anderes wollte als ein normales Leben führen und keine Illusion von dessen, in der man nur so tut als ob.

Dies alles eröffnet sich dem Leser bis zur Mitte des Buches. Da scheint dem Autor dann jedoch die Puste ausgegangen zu sein. Die Ansammlungen von Abartigkeiten und Ekelszenen hören abrupt auf und treten ab hier nur noch vereinzelt auf - als hätte der Autor all sein Pulver an kranker Phantasie komplett verschossen.
Auch die Storyline selbst bricht in gewisser Weise in sich zusammen.
Damit begann dann für mich die große Langeweile mit der Frage: "Wohin will mich der Autor nun führen?"
Am Ende des Buches erfolgte die Antwort an mich selbst - "Niergends hin.", denn das Ende war in meinen Augen einfach nur bescheuert und lässt mich verdattert und unzufrieden zurück.

Ein Lob gebührt jedoch dem Festa-Verlag.
Die Umschlaggestaltung und die Qualität sind einfach eine Wucht. Eins der wenigen Male, bei denen mir das Cover der deutschen Ausgabe besser gefällt als das des Originals. Dadurch wurden 2 Sterne auf 3 aufgerundet.

Fazit:
Dieses Buch brachte selbst mich an ein paar Stellen an meine Grenzen, wobei es weniger die blutigen und abartigen Gewaltszenen waren, sondern eher die Sodomie-Szenen und die Stellen in denen Exkremente gegessen wurden (Mahlzeit!).
Trotzdem fand ich das Buch bis zur Mitte hin relativ gut und auf kranke Weise fesselnd. Doch dann fiel alles in sich zusammen, die Ekelszenen genauso wie der gesamte Plot und das Ende. Genauso gut hätte ich ab der Mitte aufhören können zu lesen.
Schade, denn das Buch hatte einen guten Anfang und durchaus Potenzial. Als "Horror-Klassiker" würde ich es also nicht bezeichnen und schon gar nicht als "Meisterwerk".

© Pink Anemone