Rezension

Eine sehr reizvolle Mischung

Allein
von Daniel Schreiber

Bewertet mit 5 Sternen

Schonungsloser Erfahrungsbericht, wissenschaftlich-literarische Herangehensweise an ein menschliches Ur-Thema

Ich habe mir 'Allein' gekauft, weil ich Schreibers neuestes Werk erstand und die Buchhändlerin sagte, dass alle seine Werke lesenswert seien. Der Autor lebt allein.

Er ist problembehaftet,geht damit schonungslos um: Alkoholprobleme, Essstörungen, Depression, reduziertes Selbstwertgefühl, Schwulsein und 'queere Scham'.Damit muss man sich auch als Leser konfrontieren lassen wollen.Schreibers Offen- und Ehrlichkeit machen ihn zu einem authentischen One-Voice-Autoren. Er befasst sich mit dem Thema des Alleinseins, der Einsamkeit. Auch wissenschaftlich und literarisch. Auch in Corona-Zeiten.

Gerade die Kombination aus Lebensfragen, die unsereins herumtreiben, wissenschaftlichem Anspruch, Appell an sich selbst und an den Leser empfinde ich als sehr reizvoll. Eine Sichtweise werde ich mir auch (mehr) zu Herzen nehmen. Im Freund (oder Partner) auch immer das Andere zu bewusst zu suchen und zu lieben, zu beobachten, wer das Gegenüber wirklich ist, Freundschaft darf nicht nur 'narzisstische Selbstspiegelung' sein, Gleichmacherei. Gerade die, die anders sind, bedeuten eine Bereicherung des eigenen Lebens. Der Mensch sollte ganzheitlich betrachtet und geliebt werden. Viel zu sehr liegt doch unser Fokus auf der Suche nach Gleichgesinnten oder Seelenverwandten, damit wir selbst gesehen werden, und weil es so schön einfach erscheint. Ausgangspunkt des Buches ist Schreibers eigene Lebensbühne. Der Autor sucht Antworten auf existentiellen Fragen und lässt den Leser an seinen Reflektionen und Zweifeln teilhaben. Allein die 17seitige Liste des Literatur- und Anmerkungsverzeichnisses ist bei dem relativen dünnen Buch bemerkenswert. Schreibers Grundstock.

Mir haben die 140 Seiten gut gefallen. Interessant finde ich auch die Tatsache, dass nach wie vor Untersuchungen dazu fehlen, wie Alleinlebende eigentlich ihr Leben gestalten, es empfinden.

Auch das Chapter über die 'Freundlichkeit' fand ich bemerkenswert. Dreh- und Angelpunkt unseres Lebens ist die LIEBE, Nähe ein zentrales menschliches Grundbedürfnis, die Liebe verleiht unserem Leben Sinn, lässt uns andere sehen und ermöglicht auch, dass wir selbst gesehen werden.Mir gefallen Schreibers Blickwinkel und seine Art zu formulieren: 'Und wir vergessen, vergessen, auch wenn wir es nicht wollen, wer wir einmal waren. Wir brauchen Menschen, die uns genau davor bewahren', (17). Die uns wecken, die uns lebendig fühlen lassen, die wir glücklich machen.

Ich habe mich als Autorin-durchs-Leben-Wanderin in Schreibers Zeilen wieder gefunden.

Der größte Verlust im Leben überhaupt ist neben dem von geliebten Menschen, der, nicht lieben zu dürfen oder geliebt zu werden.

Ich tendiere dazu, was ich selten mache, weil irgendwie nichts perfekt ist oder sein sollte, dem Buch 5 Sterne zu verleihen und ich glaube, jetzt mache ich das auch einmal.

Erst hinterher habe ich mir die Rezensionen auf einer anderen Plattform durchgelesen. Es ist immer wieder bemerkenswert, wie ein und dasselbe Buch auf verschiedene Leser ganz unterschiedlich wirken kann.