Rezension

Eine unbedingte Leseempfehlung

Marseille 1940 -

Marseille 1940
von Uwe Wittstock

Bewertet mit 5 Sternen

Die Flucht der Dichter und Denker aus Nazi-Deutschland und Österreich setzt recht bald nach der Machtübernahme Hitlers ein. Trotzdem gibt es viele, die ihre Heimat nicht verlassen wollen, die nicht glauben können, dass das „Land von Schiller und Goethe“ zu solchen barbarischen Mitteln greift, wie man es sich leise und hinter vorgehaltener Hand erzählt: Alle jene, die nicht ins Regime passen, weil sie jüdischer Abstammung oder Regime kritisch sind, werden gnadenlos verfolgt, eingesperrt und vernichtet. Letztendlich befinden sich Tausende deutschsprachige Intellektuelle in Frankreich als die deutsche Wehrmacht die Niederlande und Belgien überrollt bis nach Paris vorstößt und 1940 Teile Frankreichs besetzt hat.

 

Die Flucht geht innerhalb Frankreichs weiter bis sie in Marseille landen und auf eine Möglichkeit hoffen, eine Ausreise- bzw. Einreiseerlaubnis in die USA erhalten zu können. Doch die USA will in die Angelegenheiten Europas nicht verwickelt werden und stellt für die jüdischen Flüchtlinge kaum Einreisebewilligungen aus. Hier kommt nun Varia Fry, Mitarbeiter des Emergency Rescue Committee ins Spiel, der namhaften europäischen Intellektuellen, Künstlern, Politikern und Gewerkschaftlern die Ausreise ermöglichen soll.

 

Ursprünglich war die Aktion als befristetet Maßnahme geplant. Doch sie entwickelte eine eigene Dynamik. Zwischen Juni 1940 und Juni 1942 gelingt es Varian Fry und seinem Team rund 2.000 Menschen aus dem besetzten Frankreich zu retten. Die Liste jener, die auf abenteuerlichen und gefährlichen Wegen wie über die Pyrenäen in Sicherheit begracht werden konnten, liest sie wie das Who is Who der deutschen Intellektuellen: von Hannah Arendt über Maler Marc Chagall, Lion Feuchtwanger, die Manns, Alma Mahler und Franz Werfel sowie Marc Ophüls und Alfred Polgar, um nur einige zu nennen. Nicht allen gelingt die Flucht. Walter Benjamin begeht Suizid.

 

Bevor die Flüchtlinge noch ihre gefährliche Reise antreten konnten, mussten sie noch aus den diversen Internierungslagers wie Gurs herausgeholt werden. Das gelingt Fry & Co oft nur unter in letzter Minute, dann gilt es, Geld und die notwendigen Ausreisedokumente sowie Einreisezertifikate aufzutreiben. Amerika stellt bald keine mehr aus, so sind dann südamerikanische Staaten das Ziel oder das französische Insel Martinique, auf der die Geflohenen erst recht wieder interniert werden.

 

Varian Fry fällt in Amerika mit seinen Bemühungen, möglichst viele Menschen, darunter auch solche, die weder berühmt noch Fürsprecher in den USA haben, aus dem besetzten Frankreich herauszuholen, recht bald in Ungnade. Besonders für jene, die als sozialistische Gewerkschafter um ihre Leben fürchten müssen, ist in den USA kein Platz.

Fry widersetzt sich mehrmals den Aufforderungen nach Amerika zurückzukehren, setzte seine Ehe aufs Spiel und muss, um seiner Verhaftung durch französische Behörden, selbst fliehen.

 

Wer zu diesem Thema noch mehr lesen möchte, dem sei Varian Frys Buch „Auslieferung auf Verlangen – Die Rettung deutscher Emigranten in Marseille 1940/41“ sowie Herbert Lackners „Die Flucht der Dichter und Denker. Wie Europas Künstler und Wissenschaftler den Nazis entkamen“. 

 

Fazit:

 

Diesem Stück Zeitgeschichte, das aufzeigt, dass auch das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“, ziemlich beschränkt und begrenzt war. „America first“ - dieser Spruch ist nicht erst seit Trump bekannt. Gerne gebe ich diesem Buch 5 Sterne und eine Leseempfehlung.