Rezension

eine ungeschliffene Perle, aber erst auf den zweiten Blick

Zum Glück bemerkt mich niemand ... dachte ich - Liv Marit Weberg

Zum Glück bemerkt mich niemand ... dachte ich
von Liv Marit Weberg

Bewertet mit 4 Sternen

Hier stellt sich wieder einmal die Frage, mit welchen Erwartungen man an ein Buch herangeht. Der Verlag preist "Zum Glück bemerkt mich niemand ... dachte ich" als EINEN FEEL-GOOD ROMAN ZUM LESEN UND LIEBEN an. Das hübsche, in Pastelltönen gehaltene Cover verspricht das gleiche .... nach der Lektüre passt alles dann trotzdem ... auf den zweiten Blick.

Anne Lise erzählt uns im Präsens, wie sie nach Oslo in eine winzige Wohnung zieht, um dort Entwicklungspolitik zu studieren. Sie ist wahnsinnig schüchtern und introvertiert und als sie mit etwas Verspätung bei der ersten Schulveranstaltung ankommt, traut sie sich nicht einmal sich dazuzugesellen und hat schon Angst, dass nun der Zug in Sache Freunde abgefahren sei. Doch das ist erst der Anfang. In einigen Szenen handelt Anne Lise derart weltfremd, dass mir der Mund offen stehen blieb, oder aber sie handelt gar nicht mehr, sondern verschanzt sich in ihrer 'Schuhschachtel' bis ihr Nudeln und Haferflocken ausgehen. Auch ihr Umgang mit ihren Eltern oder Gleichaltrigen ist oft regelrecht grotesk, dass ich mich mehrfach fragen musste, was mit Anne Lise nicht stimmt, denn das geht weit über eine normale Schüchternheit hinaus. Man bekommt das Gefühl, dass sie ihr Leben so gar nicht auf die Reihe bekommt, keinen eigenen Antrieb hat, alleine nicht überlebensfähig ist. Doch zum Glück gibt es dann doch noch jemanden, der sie bemerkt ....

So kann man sich denken, dass Anne Lise keine einfache Protagonistin ist. Oft wollte ich sie wach rütteln, sie anschupsen, damit sie in die Gänge kommt und ihren Lebensball ins Rollen bringt. Und obwohl ich ihr gegenüber sehr zwiegespalten war, entlässt sie uns am Ende mit einem guten Gefühl und Hoffnung.

"Zum Glück bemerkt mich niemand ... dachte ich" ist in viele, manchmal sehr kurze Kapitel gegliedert. Wie die Protagonistin und die Geschichte ist auch der Schreibstil sehr speziell und gibt uns ein passendes Gesamtbild. Anne Lise erzählt manchmal etwas kindlich naiv, manchmal in abgehakten Sätzen, aber sehr oft mit einem äusserst trockenen Humor, der nicht immer gleich an der Oberfläche zu finden ist. Und so muss man sich auf Liv Marit Webergs Debüt einlassen können, um seinen Feel-Good-Roman zu bekommen.

Fazit:
An "Zum Glück bemerkt mich niemand ... dachte ich" ist wohl alles besonders: die Protagonistin, der Schreibstil, aber auch die Handlung. Und so braucht es etwas Geduld und die Bereitschaft, Anne Lise eine zweite Chance zu geben, um dann eine tiefgründig, unkonventionelle Geschichte zu bekommen.
Liv Marit Webergs Debüt ist alles andere als Mainstream - eine ungeschliffene Perle, die man erst einmal bemerken muss.