Rezension

Eine Welt, die aus den Fugen gerät

Der Tag, an dem ein Wal durch London schwamm - Selja Ahava

Der Tag, an dem ein Wal durch London schwamm
von Selja Ahava

Bewertet mit 5 Sternen

Anna Lehtonen wird in einem Pflegeheim betreut, weil sie aufgrund von Altersdemenz nicht mehr allein leben kann. Mein erster Gedanke war, wie eine so phantasievolle Frau überhaupt altern kann und warum ihre eigenwillige Sicht der Dinge Anna nicht vor dem Schwinden ihrer geistigen Leistungskraft bewahren konnte. Die Welt gerät für Anna durcheinander und fremde Menschen organisieren ihr Leben, so dass sie sich erst recht bedroht und verwirrt fühlt. Verschiedene Zeitebenen schieben sich in Annas Erinnerungen voreinander, die beim Lesen erst sortiert werden müssen, so wie Erinnerungen sich bei betagten Menschen vor die Gegenwart schieben. Es gab eine Zeit, in der Anna wahrnahm, wie ihr Bruder alterte, aber selbst nicht erkennen konnte, dass sie ohne seine Hilfe bald nicht mehr allein in ihrer Wohnung leben könnte. Anna hat schon in jungen Jahren strenge Ordnung in ihrem Leben gehalten. Sie wäre sonst nicht allein im Ferienhäuschen auf einer kleinen finnischen Insel klargekommen, während ihr Mann auf dem Festland arbeitete. Als junge Frau hat sie Listen über ihr Leben geführt, die ihr nun schon lange nicht mehr helfen können. Nach ihrer Beziehung zum Dokumentarfilmer Artti lebte Anna eine Weil in London, wo es zur denkwürdigen Begegnung mit dem Wal in der Themse kam. In jener Zeit in London hat Anna bewusst einen Teil ihrer Vergangenheit weggesperrt; damals geriet ihr Leben schon einmal aus dem Tritt. Die Kinder, mit denen Anna sich in einem Schrank zum Spielen trifft, wurden nie geboren, aber sie helfen Anna bei der Bewältigung ihrer Vergangenheit.

Selja Ahava zeigt Annas aus den Fugen geratene Welt in herausragend poetischen Bildern, die den Ereignissen viel von ihrem Schrecken nehmen.