Rezension

Eineiige Zwillinge besitzen die gleiche DNA

Unter Schwestern -

Unter Schwestern
von Sophie Edenberg

Bewertet mit 5 Sternen

Seit etwas über einem Jahr hat Amelie kein Wort mit Franziska gewechselt. Alleine schon bei dem Gedanken an ihre Schwester bekommt sie feuchte Hände. Franziska hat etwas getan, was Amelie ihr nicht verzeihen kann und sie würde auch weiterhin jeden Kontakt vermeiden, wenn nicht etwas passiert wäre, wozu sie dringend die Hilfe von Franziska braucht.

Amelie und Franziska sind eineiige Zwillinge und schon früher haben sie – einfach nur so oder auch mal um einen Lehrer hinters Licht zu führen – ihre Identitäten getauscht. Aus Franziska wurde Amelie und umgekehrt – wer sie nicht 100%ig auseinanderhalten konnte (und wer kann das schon), würde niemals merken, dass er nicht die Person vor sich hat, die sie zu sein vorgibt.

Amelie erzählt Franziska, dass sie dringend eine Auszeit brauche – von ihrem Mann, ihrer Ehe, ihrem Leben – sie müsse eine wichtige Entscheidung treffen und dafür brauche sie einen klaren Kopf. Ihr eigenes Umfeld gibt das nicht her, weswegen sie Franziska bittet, lediglich für eine Woche mit ihr die Identität zu tauschen; nach dieser Zeit würde sie ihre Angelegenheiten geregelt haben.

Obwohl ihre Schwester sie seit einem Jahr meidet wie die Pest, steht es für Franziska außer Frage, ihr nicht zu helfen. Sie tauschen die Handys, die Autos und alles, was zu ihren Identitäten gehört und Franziska wird für eine Woche die Ehefrau von Konstantin und Mutter von Karl, während Amelie in der Einsamkeit von Franziskas Single-Wohnung ganz für sich alleine sein kann.

In der kommenden Woche passieren zwei Dinge, bei denen Franziska darüber nachdenkt, ihre wahre Identität zu offenbaren:

Nicky, eine gemeinsame Jugendfreundin, wird tot aufgefunden
Amelie ist nicht, wie vereinbart, am Treffpunkt aufgetaucht, um die Identitäten zurückzutauschen

Obwohl beide Vorfälle Franziska stark beunruhigen, nicht zuletzt deswegen, weil Nicky bis zu ihrem Tod in Konstantins Firma ein Praktikum absolviert hat und Amelies Auto am Tattag in der Nähe von Nickys Wohnung gesehen wurde und jemand gesehen haben will, wie Franziska (in dem Fall Amelie) in ihrem Auto in suizidaler Absicht über eine Klippe gefahren ist, schweigt sie darüber, dass sie gar nicht Amelie ist.

War Amelies einzige Intention die, ihren Selbstmord in Ruhe vorzubereiten?
Franziska kann nicht glauben, dass Amelie an diesem Punkt angekommen sein soll und so beginnt sie, das Leben ihrer Schwester zu hinterfragen.

So viel sei gesagt: Ihre offensichtlich unglückliche Ehe mit Konstantin ist nicht das wirkliche Problem.

„Unter Schwestern“ ist nunmehr das dritte Buch von Sophie Edenberg, welches mir von der Autorin direkt zum Lesen und Rezensieren angeboten wurde. Hierfür ein ganz herzliches Dankeschön!

Um es meinem Fazit vorwegzunehmen: Ich hab das Buch (398 Seiten in der Printausgabe) an zwei Tagen gelesen.

Die Geschichte beginnt an dem Tag, an dem Amelie bei ihrer Schwester Franziska aufschlägt, um diese um einen Identitätstausch zu bitten, ja regelrecht zu drängen. Es wird erwähnt, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt über ein Jahr keinen Kontakt zueinander hatten und, dass dieser Kontaktabbruch von Amelie ausgegangen ist. Was genau vor einem Jahr passiert ist, erfährt man an dieser Stelle nicht. Die Auflösung ergibt sich erst nach und nach aus der weiteren Erzählung.

Franziska ist fünf Minuten vor Amelie geboren, weswegen sie sich schon ihr ganzes Leben lang als „die große Schwester“ sieht, vielleicht auch als Mutterersatz, was natürlich aus der Sicht einer jeden Schwester unterschiedlich wahrgenommen werden kann. Franziska empfindet ihre Vorgehensweise als Fürsorge und Achtsamkeit, aus Amelies Sicht könnte das als Kontrolle und Übergriffigkeit ausgelegt werden. Seit jede ihr eigenes Leben führt, hat Franziska viel weniger Einfluss auf Amelie, fühlt sich aber immer noch dazu verpflichtet auf ihre Schwester aufzupassen. Deswegen war der Bruch für Franziska viel schwerer auszuhalten, sie ist aber sofort bereit all das zu vergessen und die Identität zu tauschen, was sie ja irgendwie wieder in die Beschützerrolle bringt.

Alles, was ich jetzt noch tun konnte, war zu versuchen, Amelie zu beschützen. Für sie da zu sein, wenn sie mich brauchte. So wie ich immer für sie da gewesen war. Auch wenn sie mich nicht gesehen hatte. (Kapitel 9)

Die Kapitel werden von Amelie, Franziska, Karin und Max in der Ich-Form erzählt, wobei Amelie logischerweise nicht ganz so viel Einblick in ihr Leben gibt. Die Kapitel von Karin und Max sind jeweils mit dem Namen überschrieben, so dass man direkt weiß, wer hier gerade am erzählen ist. Die Kapitel von Franziska und Amelie sind nicht überschrieben, so dass ich manchmal – von der Autorin gewollt oder ungewollt? – zu erst einmal nicht wusste, wessen Perspektive gerade erzählt wird.

Durch ihren einwöchigen Aufenthalt in Amelies Haus kann Franziska während der Abwesenheit von Konstantin in aller Ruhe durch die Zimmer schnüffeln und recherchieren und kommt so nach und nach dahinter, welche Rolle Konstantin spielt und warum Amelie sich eine Auszeit von ihrem Leben nehmen wollte. Ich warte die ganze Zeit darauf, dass Konstantin merkt, dass er hier nicht seine Frau vor sich hat, aber Franziska scheint Amelies Rolle – in allen Belangen – gut auszufüllen.

Aus den unterschiedlichen und zusammenlaufenden Erzählperspektiven erfährt man als Leser nach und nach, wie alles zusammenpasst und warum die Personen so handeln, wie sie handeln (oder gehandelt haben). Es ist erschreckend, wie weit manche Menschen gehen, ohne ein Unrechtsbewusstsein dafür zu entwickeln; die Auflösung bringt all das ans Tageslicht.

Die Autorin Sophie Edenberg hat mich ein weiteres Mal mit ihrer Geschichte abholen können. Sie erschafft real erscheinende Charaktere, die situationsbedingt handeln – was man als Leser ja nicht immer unbedingt auch gutheißen oder verstehen muss, weil man selbst anders handeln würde, aber es macht für den Fortgang der Geschichte Sinn. Die Spannung baut sich meiner Meinung nach durch verschiedene Punkte auf. Zum einen möchte man natürlich wissen, was in Amelies Leben passiert ist, dass sie eine so gravierende Auszeit braucht, dass man die Identität mit seiner Zwillingsschwester tauschen muss, zum anderen habe ich ständig „an den Nägeln gekaut“, ob Konstantin nicht doch irgendwann dahinter kommt, dass es sich nicht um seine Frau handelt die bei ihm wohnt und, was er getan hätte, wenn Franziska aufgeflogen wäre.

Alles in allem hatte dieses Buch einen sehr hohen Unterhaltungswert und ich habe die Geschichte in ganz kurzer Zeit gelesen.