Rezension

Emanzipation, damals wie heute

Begegnung mit einer Vergessenen - Anne Schuster

Begegnung mit einer Vergessenen
von Anne Schuster

Bewertet mit 4 Sternen

Begegnung mit einer Vergessenen ist ein kleines starkes Buch über die Selbstfindung und Selbstbestimmung zweier Frauen in Südafrika, über Recht und Ungerechtigkeit, Diskriminierung und Macht

Einerseits ist da Maria, die am Ende des 19. Jahrhunderts ihr Leben in der Irrenanstalt Valkenberg in Kapstadt beschließt, gelähmt und ihrer Sprache beraubt, können wir trotzdem an ihren Erinnerungen teilhaben. Was hat die sechsfache Mutter und Ehefrau in diesen Zustand an diesen furchtbaren Ort versetzt. Ist es der Schock oder die Trauer um ihren ermordeten Ehemann, oder hat sie gar etwas mit dem Tod dieses herrischen launenhaften Familientyrannen zu tun?

Andererseits gibt es Anna, Marias Urenkelin, die sich 2004 auf Spurensuche begibt, nicht nur in Marias Vergangenheit, auch in ihre eigene.

Fakten und Fiktion werden gekonnt gemischt. In ihren Briefen an Maria stellt Anna viele Fragen, um die Hintergründe der Unterbringung Marias in der Anstalt zu ergründen. Sie recherchiert viel, aber schmückt auch viele Details aus ihrer Phantasie aus.
So wie schon Maria setzt sich Anna für die Rechte von Frauen, insbesondere von Prostituierten ein. Anna verfolgt den Prozess um den Mord an einer Sexarbeiterin, der sie stark beeinflusst.
Auch Marias Leben war von Morden an Prostituierten überschattet. Ihr Einsatz für diese Frauen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden, sowie ihr eigener Drang nach Selbstbestimmung und Erfüllung, wurden ihr letztlich zum Verhängnis.

Gut gefallen hat mir, dass die Abschnitte, in denen Anna zu Wort kommt, in einer andern Schriftart gedruckt sind als Marias Passagen. Es erleichtert ungemein, den verschiedenen Perspektiven zu folgen.

Sehr eindrucksvoll vermittelt die Autorin, das „In sich selbst eingesperrt sein“ Marias. Mich hat ihre Geschichte und Schicksal sehr berührt. Schon die ersten Sätze des Buchs, wo Maria darauf hofft sterben zu dürfen, fand ich unendlich traurig.
Aber die Kraft, mit der sich Anna weiterentwickelt - vom braven angepassten, wohlerzogenen Mädchen, das nicht nein sagen kann zu einem Mann, der sie belästigt, zu einer selbstbestimmten Frau - stimmte mich wieder hofnungsvoll.