Rezension

Emotional, ehrlich und mit Weitblick

Ein Brautkleid aus Warschau - Lot Vekemans

Ein Brautkleid aus Warschau
von Lot Vekemans

Bewertet mit 4 Sternen

Zuwenig an Liebe, Zuviel an Ohnmacht

„Man weiß es sofort, wenn es wahre Liebe ist. Sie steht sicher und fest wie ein Felsen in der Mitte eines Flusses und weicht selbst dem wildesten Toben nicht. Es ist als sei man größer, als man selbst. Als wohne man im Herzen statt das Herz im Körper.“

 

Inhalt

 

Marlena verliebt sich Hals über Kopf in Natan einen Journalisten, der für einen Besuch bei seinem polnischen Onkel Szymon untergekommen ist, bevor er wieder nach Amerika zurückkehren wird. Für Marlena ist es die große Liebe, die alle Zweifel verstummen lässt und als sie schwanger ist und ihr Geliebter abgereist, hofft sie auf seine Rückkehr. Doch es sieht schlecht aus – Szymon gibt ihr den Rat, sich diesen Mann aus dem Kopf zu schlagen und ihre Eltern pochen darauf, dass sie sich nun endlich einen Mann sucht, damit ihr Kind nicht in Schande aufwächst.

Marlena flüchtet in die Niederlande, indem sie sich einer Heiratsvermittlung anschließt und den Bauern Andries ehelicht. Doch während Andries voller Liebe das Kind annimmt, welches gar nicht sein ist, sehnt sich Marlena nach einer Rückkehr in die polnische Heimat. Zu Vieles wartet dort auf sie und nicht zuletzt der einzige gemeinsame Bekannte mit Natan, der ihr vielleicht Neuigkeiten mitteilen könnte …

 

Meinung

 

Die niederländische Autorin, die ihr ebenfalls als Dramatikerin am Theater tätig ist, wurde für ihren Debütroman, der ein tragisches Dreiecksverhältnis zwischen Marlena und ihren Männern offenbart, bereits mit dem Anton-Wachter-Preis nominiert.

Ein anspruchsvolles Buch, in dem es durchaus um die Liebe geht aber darüber hinaus auch um familiäre Bindungen, falsche Entscheidungen, selbstloses Handeln und verantwortungsvollen Umgang im gemeinsamen Miteinander. Erzählenswert ist nicht nur die Geschichte an sich, sondern auch die Verflechtung der Einzelschicksale mit ihrem entsprechenden Hintergrund. Lot Vekemans wählt dafür drei Perspektiven und bereichert den Roman damit um mehr als eine junge, verliebte, doch unreife Hauptprotagonistin.

Tatsächlich fühlt man sich den Erzählern des Romans dadurch nahe, weil sie alle Fehler haben, weil ihre Vergangenheit und die gesammelten Erfahrungswerte sie zu Menschen gemacht haben, die nun in der Gegenwart versuchen, ihren eingeschlagenen Weg zu beschreiten oder ihn bestmöglich zu verändern. Es sind keine Prototypen, die lediglich für eine bestimmte Rolle agieren, sondern sie wirken lebensnah, realistisch und man wird sich als Leser deutlich darüber bewusst, dass sehr viel Mut dazugehört, über den eigenen Schatten zu springen. Und nicht jeder kann hier das umsetzen, was er sich im Grunde seines Herzens wünscht – das macht manchmal etwas melancholisch beim Lesen, gibt aber auch Urvertrauen zurück.

Das Besondere an diesem Roman ist die feinfühlige, stille Erzählweise, die hintergründig agiert und nicht bloße Handlungen vortäuscht. Dadurch entsteht ein rundes, ein griffiges Bild über die Liebe an sich. Nicht nur die zwischen Mann und Frau, ebenso die zwischen Geschwistern, die voneinander abhängig sind, zwischen Freunden, die mehr füreinander empfinden, zwischen Eltern, die ihre Kinder lieben und Kindern, die ihre Eltern vergöttern. Das egoistische Verhalten kommt hier wunderbar zu kurz, denn immer, wenn eine Person versucht, ihre eigenen Ansprüche vehement durchzusetzen, kommt ihr das Schicksal dazwischen und sie ist gezwungen, sich zurückzunehmen und eine andere Perspektive zu wählen.

 

Fazit

 

Ich vergebe sehr gute 4 Lesesterne für diesen empathischen Roman, der verzwickte Lebenswege, falsche Entscheidungen und den Mut der Veränderung thematisiert. „Eine berührende Geschichte über ein Zuwenig an Liebe und ein Zuviel an Ohnmacht“, titelt Noordhollands Dagblad auf dem Buchumschlag und diese Aussage trifft es ziemlich genau auf den Punkt. Empfehlenswert ist der Roman für alle, die Familiengeschichten mögen und sich mit der moralischen und seelischen Entwicklung diverser Charaktere befassen möchten. Ein Buch mit Anspruch, jedoch wunderbar nah dran an den Emotionen und doch ausreichend distanziert für einige Verhaltensweisen – mir hat es sehr gefallen.