Rezension

"Erfahrungen vererben sich nicht - jeder muss sie allein machen."(Kurt Tucholsky)

Emilies Erbe -

Emilies Erbe
von Bianca Elliott

Bewertet mit 4 Sternen

In Schleswig-Holstein ist das diesjährige Familienfest auf dem Gestüt in vollem Gange, als Marisa Sommerroth eine alte Dame aus einem Taxi steigen sieht, die ihr völlig unbekannt ist. Die alte Dame ist ihre Großmutter Emilie, von denen niemand seit 30 Jahren etwas gehört oder gesehen hat und über die auch nie gesprochen wird, als würde sie gar nicht existieren. Was ist damals geschehen, dass ihre inzwischen 95-jährige Oma Emilie innerhalb der Familie totgeschwiegen wird?
70 Jahre zuvor, 1944 lebt Emilie mit ihrer Familie auf dem ostpreußischen Gut Zimney, wo sie Trakehner-Pferde züchten. Die Russen sind nicht mehr weit entfernt, aber der 20-jährigen Emilie und ihrer Familie ist es nicht erlaubt, ihre Sachen zu packen und sich in Sicherheit zu bringen. Insgeheim planen sie die Flucht, aber vorrangig gilt es, die wertvollen Trakehner-Zuchtpferde zu retten. In buchstäblich letzter Minute verlässt Emilie das Gut und begegnet auf ihrer Flucht Leutnant Johann Sommerroth, der ihr helfen will, sowohl sich als auch die Pferde in Sicherheit zu bringen. Ein sehr harter und steiniger Weg liegt vor Emilie, dessen Ausgang ungewiss ist…

Bianca Elliott hat mit „Emilies Erbe“ einen kurzweiligen spannenden Familienroman vorgelegt, der sich über zwei Zeitebenen erstreckt, die gekonnt miteinander verknüpft sind. Der flüssig-leichte und bildreiche Erzählstil öffnet dem Leser schnell die Tür zur Handlung, wo er sich zuerst in der Vergangenheit ein Jahr vor Kriegsende auf einem Gestüt in Ostpreußen wiederfindet und Emilie nebst ihrer Familie kennenlernt, um sich kurz darauf in der Gegenwart auf Gut Sommerroth wiederzufinden und die Aktivitäten zum alljährlichen Familientreffen zu beobachten, die durch einen Überraschungsgast gehörig aus dem Takt zu geraten scheinen. Mit den wechselnden Perspektiven wird sowohl die damalige Geschichte nach und nach entblättert, die auch in der Gegenwart ihre Folgen nach sich zieht und das Geheimnis offenlegt, weshalb Emilie seit 30 Jahren für alle eine Persona non grata war. Die Autorin beweist mit ihrem Handlungskonstrukt ein geschicktes Händchen, denn die Spannung wird durch die sich abwechselnden Zeiten immer weiter in die Höhe getrieben und lässt den Leser regelrecht an den Seiten kleben. Auch die zwischenmenschlichen Beziehungen innerhalb des Familienbundes sind interessant herausgestellt, die einiges an Konfliktpotential bergen.

Die Charaktere wurden liebevoll in Szene gesetzt und mit glaubhaften menschlichen Eigenschaften versehen, was sie authentisch und lebendig wirken lässt. Der Leser mischt sich als unsichtbarer Gast unter sie, um ihren unterschiedlichsten Erlebnissen und Beweggründen zu folgen. Emilie ist zu Beginn eine junge Frau voller Unternehmenslust und einer großen Liebe für ihre Pferde. Schon bald ändert sich ihr Leben dramatisch und die Folgen prägen sie für ihr ganzes Leben. Als alte Dame will sie endlich die Karten auf den Tisch legen, um Altes abzuschließen und innere Ruhe zu finden. Marisa ist eine sympathische, offene und freundliche Frau, die nicht nur alle Hände voll zu tun, die Wogen auf dem Familienfest zu glätten, sondern auch an der alten Familiengeschichte interessiert ist, die ihr bisher nicht bekannt war. Johann Sommerroth ist ein hilfsbereiter Mann mit dem Herzen am rechten Fleck. Caroline ist eine arrogante und überhebliche Frau, die gern alle nach ihrer Pfeife tanzen lassen würde. Auch die übrigen Nebendarsteller bringen reichlich Farbe in das Geschehen.

„Emilies Erbe“ ist ein gelungener Mix aus Vergangenheit und Gegenwart, Familiengeheimnissen, Liebe und Intrigen. Verdiente Leseempfehlung für eine kurzweilige und spannende Geschichte!