Rezension

Ermittlungen zur Weihnachtszeit

Totenklippe - Ragnar Jónasson

Totenklippe
von Ragnar Jonasson

Bewertet mit 4.5 Sternen

Zwei Tage vor Weihnachten stürzt im hohen Norden Islands eine junge Frau von einer Klippe. Jahre vorher sind hier bereits ihre Mutter und ihre jüngere Schwester ums Leben gekommen. In weiteren Handlungsfäden begegnen wir Ásta, die als Kind Zeugin eines dramatischen Ereignisses wurde und als Erwachsene nun in ihren Heimatort zurückkehrt. Ástas Vater war hier früher Leuchtturmwärter und ein Zusammenhang der Ereignisse mit dem Leuchtturm scheint nahezuliegen.

Ari Thor, der junge Polizist aus Siglurfjördur, wird in diesem sonderbaren Fall von seinem ehemaligen Chef sehr kurzfristig um Hilfe gebeten. Tómas Dienststelle in Akureyri hätte nicht genug Personal, behauptet er forsch. Ari hat sich im vierten Band der Serie in seiner beschaulichen Polizeiwache eingerichtet, aber den Traum noch nicht endgültig begraben, sich beruflich zu verändern. Dass Tómas mit ihm zusammenarbeiten will, ist für Ari Thor deshalb schmeichelhaft, kommt kurz vor Weihnachten und mit einer im 8. Monat schwangeren Partnerin jedoch unpassend. Da Kristin während ihrer Schwangerschaft ihr Interesse an der eigenen Familiengeschichte entdeckt hat, will sie Ari unbedingt an den Fundort der Leiche nahe Skagaströnd begleiten. Ari und Tómas treffen dort auf ein älteres Geschwisterpaar als Zeugen, Thóra und Óskar, die für einen wohlhabenden Hausbesitzer als Hausmeister arbeiten. Besonders Thóra scheint reichlich verbittert, nachdem sich ihre Pläne zerschlugen und sie als Gescheiterte zurückkehren musste. Óskar dagegen passt sich den Verhältnissen klaglos an.

Zwischen den Geschwistern, Ástas Familie, einem einzigen Nachbarn und dem Eigentümer von Haus und Leuchtturm, Reynir, bestehen diverse private und wirtschaftliche Beziehungen, die als Motiv für den Tod der drei Frauen denkbar sind. Eine Menge Groll ist zu spüren und einige Beteiligte haben vermutlich an Depressionen gelitten. Kompliziert wird die Angelegenheit dadurch, dass die Menschen hier oben von jeher abergläubisch waren und sich nur ungern mit naturwissenschaftlichen Erklärungen für die Erdstöße in der Gegend abfinden wollen. Je tiefer Tómas und Ari Thor in den Fall einsteigen, umso mehr mögliche Motive tauchen auf. Die eingeschworene Gemeinschaft scheint ihr Geheimnis eisern zu verschließen, weil sie sonst auseinanderbrechen würde.

Neben der Aufklärung mehrerer Todesfälle in einer Familie lenkt Ragnar Jónasson in diesem Band wieder die Aufmerksamkeit seiner Leser auf eine abgelegene Gegend, in der früher ein Fischerdorf existiert hatte. Als Leser aus dem Ausland kann man sich nur schwer vorstellen, wie die Menschen dort früher die harten, langen Winter überstanden. Im Vergleich zu Ari Thors aktuellem Wanken zwischen Gehen oder Bleiben war die Entscheidung damals sicher weitreichender, Haus und Hof oder den Partner zu verlassen, besonders für die betroffenen Frauen. Im Nachwort berichtet Jónasson, dass sein Krimi an einem realen Ort spielt und die Erdstöße damals höchst reale Ursachen hatten.

Gemessen an der kleinen Anzahl Beteiligter entwickelt sich Tómas und Ari Thors Fall zu einem komplizierten Geflecht, das mehr Personen verknüpft als anfangs erwartet. Da Ari Thors Beziehung zu Kristin noch einige Überraschungen vermuten lässt, hoffe ich auf eine Fortsetzung der Reihe um den jungen isländischen Provinzpolizisten.

Die Reihe
Fölsk nóta (2009) (im 1. Band ist Ari noch nicht in Siglufjördur)
Schneebraut (Snjóblinda)
Todesnacht (Natt)
Blindes Eis (Rof)
Totenklippe