Rezension

Erschreckender Einblick in die kirchlichen Strukturen

Das 11. Gebot: Du sollst nicht darüber sprechen - Daniel Bühling

Das 11. Gebot: Du sollst nicht darüber sprechen
von Daniel Bühling

Bewertet mit 4 Sternen

Kurzbeschreibung:
Ein ungeschönter Bericht aus der Welt der Scheinheiligkeit und Doppelmoral
Er ist jung und idealistisch, als er beschließt, Priester zu werden. Doch Daniel Bühling hat keine Ahnung, was ihn in seiner Ausbildung erwartet. Er gerät in die Parallelwelt des Priesterseminars, in der Homosexualität verteufelt und zugleich im Verborgenen ausgelebt wird und Psychosen und Wahnvorstellungen, perfide Machtspielchen und Alkoholmissbrauch an der Tagesordnung sind.
Daniel Bühling hat den Mut, aus den Priesterseminaren der katholischen Kirche zu berichten. Er scheut sich nicht, offen kritische Fragen zu stellen, und liefert aus seiner eigenen Erfahrung bestürzende Antworten.

Meine Meinung:
Ich bin auf der Seite von riva über dieses Buch gestolpert und war neugierig, was Daniel Bühling zu erzählen hat. In der Presse ist die katholische Kirche in der letzten Zeit durch viele Skandale aufgefallen, erschreckenderweise viele, die jahrelang vertuscht wurden und erst jetzt ans Licht kamen. Noch erschreckender ist aber eher der Umgang mit all den Skandalen: immer erst alles konsequent abstreiten, um dann immer nur soviel zugeben, wie nachgewiesen werden kann.

Hier spricht also jemand, der schon tief in der kirchlichen Struktur Zuhause war, nämlich ein Priesteranwärter. So erfährt der Leser über verschiedene Wege überhaupt Priester zu werden, wie die Strukturen aussehen, wie man höhere Ränge erreichen kann und wer eigentlich für was zuständig ist.

Wie erwartet befaßt sich der Autor auch mit der vorhandenen Doppelmoral – nicht nur was Homosexualität angeht – und dem Vertuschen, das scheinbar an erster Stelle steht. Zwar ist die Homosexualität in der katholischen Kirche verteufelt, aber es wird lieber ein Auge zugedrückt oder auch Ratschläge gegeben, wie man das doch heimlich miteinander arrangieren könnte, als einen Priesteranwärter zu verlieren.

Wie in jeder anderen Religion auch, gibt es in der katholischen Kirche die extremen Priester(anwärter): die Erzkonservativen, durchgehend als “Pullunderträger” karrikiert. Bis vor zwei Jahren gab es eine Internetseite von eben diesen betrieben, von der Kirche lange bestritten, bis die Beweise so erdrückend waren, daß es dann doch zumindest in Teilen zugegeben wurde, daß einige der Köpfe dieser Seite hochrangige Katholiken waren. Wie von dem Autor beschrieben, wird alles vertuscht und abgestritten oder verharmlost, zu irgendwelchen Konsequenzen, z.B. Rauswurf aus der Kirche kommt es in den allerseltensten Fällen.

Das Buch war durchgehend flüssig zu lesen und selbst wenn nur ein Bruchteil von dem stimmen sollte was hier beschrieben wurde, wäre es erschreckend genug. Frauenfeindlichkeit, Ablehnung von Homosexualität, Scheinheiligkeit, Doppelmoral und das Armutsgelübte ist auch eher nur Makulatur.

Natürlich wird hier nur von denjenigen Priestern und Priesteranwärtern erzählt, die aus der Rolle fallen. Ich bin trotzdem der festen Überzeugung, daß es auch noch genug gibt, die ihre Berufung ernst nehmen und entsprechend auch ihr Priesteramt leben. Was ich mich – nicht erst nach dieser Lektüre – frage, wieviel Prozent das sind…

Einziger Kritikpunkt an diesem Buch: mir fehlt ein wenig die Selbstreflektion. Daniel Bühling kritisiert, läßt aber Kritik an sich selbst nicht heran. So kann ich z.B. die Kritik seines Vaters “Du machst ja nie was zu Ende” schon nachvollziehen, es waren auch immer meine Gesanken, wenn er sich doch wieder umorientiert hat.

Fazit: Ein ehemaliger Priesteranwärter arbeitet sein Leben auf und gewährt dem Leser tiefe Einblicke in die Strukturen der katholischen Kirche – und des 11. Gebots “Du sollst nicht darüber reden”