Rezension

Es waren zwei Königskinder ...

Bleib über Nacht
von Michael Köhlmeier

Bewertet mit 3 Sternen

Als Pauline und Ludwig während des Krieges heiraten, waren sie gerade elf Stunden zusammen. Erst eineinhalb Jahre nach Kriegsende findet sie ihn in seinem Heimatdorf wieder. Sie sind einander fremd. Aber Pauline ist überzeugt, dass sie füreinander bestimmt sind. Eine wunderbare Liebesgeschichte, die der österreichische Bestsellerautor in Erinnerung an seine Eltern geschrieben hat. (Klappentext)

Was wollte Köhlmeier? Einen Heimatroman schreiben? Eine Liebesgeschichte à la Königskinder, die nicht zusammenkommen? Eine Nachkriegsgeschichte mit sprachlichen Anleihen bei Wolfgang Borchert?

Pauline und Ludwig haben sich heftig verliebt. Es ist Krieg, Ludwig muss zurück ins Feld, und sie heiraten übereilt.
Der Krieg. Es bewahrheitet sich wieder: Ein Autor schreibt am besten über das, was er kennt. In diesem Fall die Berglandschaft um den Bodensee, nicht aber den Krieg. Man spürt, dass er hier Szenarien baut, die er vom Hörensagen kennt, nicht jedoch aus eigenem Erleben. 
Im Grund spielt der Krieg eine Art Hintergrund-Staffage. Ja gut, deutsche Städte sehen ein bisschen zerbombt aus, mit den Lebensmitteln ist es auch knapp, und einige Frauen leben nun als Witwen. Doch wirklich schrecklich scheint das Unterfangen „Krieg“ nicht gewesen zu sein. 

An welchen Problemen leidet das junge Ehepaar? Es hat keinen Sex. Nicht, weil er nicht kann oder sie nicht will. Sie können und wollen beide, aber irgendwas hindert immer: Die Familie in den anderen Zimmern der Wohnung, das dreckige Bett, die Nähe der Schwiegermutter … und als endlich alles perfekt für den Großen Moment scheint, traut man sich nicht mehr.
Das mag man als Leser verstehen oder nicht. Die Prüderie der 1940er und 1950er Jahre kann man nicht verantwortlich machen, denn außerhalb der Ehe klappt, was innerhalb zum unüberwindlichen Hindernis wird. 

Pauline denkt (anscheinend pausenlos) über die Liebe nach: Ob und wie viel sie empfindet, ob und wie viel Ludwig empfindet, und ob das alles gut geht, und ob das alles richtig war, usw. Viele ihrer Gedanken und Gefühle lassen eher ein pubertierendes Mädchen vermuten als eine Frau von fast 30 Jahren. 

Was am Ende den Leser mit der geballten Menge Innensicht und Nabelschau versöhnt, ist die Pointe. Leider schimmert nur im letzten Satz der Witz durch, den man von Köhlmeier gewohnt ist. Oder hat er das gesamte Buch als Ironie verstanden, und man merkt es nicht beim ersten Lesen? 

Dennoch: Sollte es tatsächlich Köhlmeiers Absicht gewesen sein, mit diesem Buch seinen Eltern ein Denkmal zu setzen, hat er ihnen einen Bärendienst erwiesen.