Rezension

EWin wichtiges Stück Zeitgeschichte, wieder aktuell

Der eiserne Gustav - Hans Fallada

Der eiserne Gustav
von Hans Fallada

Bewertet mit 5 Sternen

REZENSION - Den „eisernen Gustav“ glauben viele zu kennen. Doch der Rühmann-Film von 1958 hat mit Hans Falladas gleichnamigen Roman von 1938 nichts zu tun, schildert er doch nur die Kutschfahrt des wahren Berliner Droschkenkutschers Gustav Hartmann (1859-1938) im Jahr 1928 nach Paris. Fallada griff dieses damals öffentlichkeitswirksame Ereignis lediglich gegen Ende seines Romans um seinen fiktiven Kutscher Gustav Hackendahl auf. Doch auch wer Falladas „Der eiserne Gustav“ gelesen hat, hatte nie seinen Originaltext, der verschollen ist, sondern nur einen bearbeiteten Text in der Hand. Erst jetzt nach über 80 Jahren erschien im Aufbau-Verlag eine Ausgabe mit jenem Ende, „wie ihn der Verfasser gewollt hatte“, und in einer der Urfassung nahekommenden Fassung, wie es Fallada-Forscherin und Herausgeberin Jenny Williams in ihrem ausführlichen Nachwort nachweist.
Hauptfigur auch ist der Berliner Droschkenkutscher Gustav Hackendahl. Wir begleiten den kleinbürgerlichen, in der wilhelminischen Zeit zu Disziplin und Gehorsam erzogenen Mann, der es bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs durch harte Arbeit zum Unternehmer mit 30 Droschken geschafft hatte, in den nun nachfolgenden Jahren 1914 bis 1924. Fallada zeigt am Beispiel des wirtschaftlichen Untergangs Hackendahls und des Zerfalls seiner Familie zugleich den Zerfall des gesellschaftlichen und politischen Systems nach dem verlorenen Krieg, nach Auflösung des Kaiserreichs und in den Wirren der Weimarer Republik, was letztlich in der Machtübernahme der Nationalsozialisten endete. Gustav Hackendahl muss erleben, wie seine von im „eisern“ verteidigten Werte – Ordnung, Gehorsam, Disziplin – untergehen. Andererseits war es gerade die Strenge des Vaters, die für die Lossagung seiner erwachsenen Kinder vom Elternhaus sorgte. Nur den Jüngsten lässt der Autor zu einem „anständigen Menschen“ heranwachsen.
Fallada hatte seinen Roman bewusst vorzeitig 1924 enden lassen, um nicht in die Sphären der Nazis zu geraten. Doch noch in der Andruckphase verlangte Goebbels eine Verlängerung der Handlung bis zur NS-Machtübernahme. Ausgerechnet Kutscher Hackendahl und sein „anständiger“ Sohn sollten der NSDAP beitreten. Fallada gab am Ende nach - sein Buch wäre wegen „fehlender Propagandawirkung“ nicht zugelassen worden - und ergänzte einen „Nazi-Schwanz“, wie er es in Briefen selbst formulierte.
Zwanzig Jahre später erschien in der DDR eine erneut bearbeitete, diesmal dem kommunistischen System gefällige Romanfassung: Zwar war der „Nazi-Schwanz“ gestrichen, in vorauseilendem Gehorsam aber auch weitere Textpassagen, die den DDR-Funktionären hätten missfallen können. Erst jetzt erschien nach jahrelanger Forschung und Textvergleichen endlich im Herbst 2019 eine „von allen politischen Eingriffen befreite“ Fassung des Fallada-Textes, die dem verschollenen Originalmanuskript wohl am nächsten kommt.
Trotz seiner 80 Jahre ist „Der eiserne Gustav“ immer noch aktuell und in seiner Authentizität aufrüttelnd, wie er von Hans Fallada einst gedacht war. Nicht wenige vergleichen unsere heutigen politischen Verhältnisse mit denen der Weimarer Republik und meinen auch, einen erfall unseres gesellschaftlichen Systems zu erkennen. Manche vermissen auch heute das notwendige Maß an Disziplin und Ordnung. Wieder erstarken in Deutschland die extremen politischen Flügel. So kann man diese Fallada-Neuausgabe als immer noch aktuelle und unbedingt lesenswerte Mahnung verstehen.