Rezension

Familiendrama mit Mystery-Elementen

Das Schweigen der Bienen - Valerie Geary

Das Schweigen der Bienen
von Valerie Geary

Bewertet mit 4 Sternen

Wer einen krimilastigen Roman erwartet und hauptsächlich an der Frage interessiert ist, wer der Mörder ist, sollte um "Das Schweigen der Bienen" einen Bogen machen. Bis der Mord aufgeklärt ist, befindet sich der Leser bereits auf den letzten Seiten des Buches.

Erst nach und nach enthüllt sich die Familiengeschichte der beiden Schwestern und wie es sie nach Oregon auf die "Weide" verschlagen hat, wo ihr Vater in einem Tipi lebt und Bienen züchtet. Durch viele örtliche und zeitliche Trennungen in der Vergangenheit müssen die beiden Schwestern ihren Vater erst neu kennenlernen. Sam hat schon früher den Sommer auf dem Land verbracht und das ältere Ehepaar Franny und Zeb sind so etwas wie Großeltern für die beiden. Ihre richtigen Großeltern wollen die Schwestern nach dem plötzlichen Tod der Mutter mit zu sich ins "Rentnerparadies" nehmen, doch Sam hofft, dass sie bei ihrem Vater bleiben können, vorausgesetzt, er beweist sich in dem bevorstehenden Sommer als verantwortungsvoller Erziehungsberechtigter.
 Dumm nur, dass plötzlich eine Frauenleiche im Crooked River gefunden wird und dass alle Beweise gegen "Bear" sprechen.

 Abwechselnd wird aus der Perspektive der beiden Schwestern Sam und Ollie, fünfzehn und zehn Jahre alt, berichtet. Sam gilt als die Mutigere und Robustere der beiden; sie wird oft ermahnt, auf ihre Schwester aufzupassen; dabei handelt sie in ihrer Abenteuerlust nicht immer verantwortungsvoll und kommt schnell an ihre Grenzen, besonders, weil ihre Schwester seit dem Tod der Mutter nicht mehr spricht.
 Ollie wiederum hat einen ganz eigenen Grund, das Sprechen einzustellen: Sie ist die Einzige, die die Schemen verstorbener Menschen wahrnehmen kann. Diese "Schimmernden", wie Ollie sie nennt, bedrängen sie und scheinen ihre Hilfe zu suchen. Ollie hat Angst, dass sie sich ihrer Stimme bemächtigen würden, deshalb spricht sie sicherheitshalber überhaupt nicht mehr. .

 Sam macht sich Sorgen, Ollie nach dem plötzlichen Herztod der Mutter nicht genug unterstützt zu haben, aber sie war zu beschäftigt damit, für die gemeinsame Zukunft der Schwestern bei ihrem Vater zu kämpfen. Genau diese Zukunft ist nun gefährdet durch den Mordverdacht gegen "Bear".

 Die Autorin lässt ihre Leser hier lange im Dunkeln tappen; alle Beweise sprechen gegen "Bear" und man fragt sich, ob Sam in ihrer blinden Loyalität das Offensichtliche nicht wahrhaben will. "Bear" erscheint dem Leser genauso undurchschaubar und rätselhaft wie für seinen Töchtern.
 Die Mördersuche schreitet wohltuend gemächlich voran, was auch durch die Umstände bedingt ist: Im ländlichen Oregon 1988 gibt es weder Handys noch Internet. Die Mädchen müssen noch ganz altmodisch in der Bibliothek recherchieren, mit Dorfbewohnern reden und Hinweise wie fallengelassene Bücher hinterlassen, wenn sie in Gefahr geraten.
 Leider wirkte das Ende der Geschichte ein wenig zu konstruiert auf mich und zu gewollt schauerlich; man fühlt sich ein wenig an alte "gothic novels" erinnert. Das passt nicht so ganz mit den leisen Tönen zusammen, in denen das Geschehen bis dahin erzählt wurde. Das ist aber der einzige Kritikpunkt.
 Eine mysteriöse Geschichte, das ländlich-alternative Setting, originelle, liebevoll gezeichnete Charaktere und eine verträumte, aber nicht kitschig wirkende Sprache - ein gelungener Erstling der Autorin, dem hoffentlich noch weitere folgen werden.