Rezension

Familiengeschichte zwischen Ost und West

Eine andere Zeit -

Eine andere Zeit
von Helga Bürster

Bewertet mit 4 Sternen

Helga Bürster erzählt in ihrem Roman "Eine andere Zeit" die Geschichte einer Familie, geteilt in Ost und West, die sich über beinahe 5 Jahrzehnte erstreckt.

Im Fokus stehen die Schwestern Enne und Suse, sowie deren Kusine Christina, die mit ihrer Mutter in einer, wie sie selbst sagt, grauen Stadt im Westen lebt, die sich aber in der DDR, in der die bei der Familie ihre Sommer verbringt, wesentlich heimischer fühlt. Sie liebt die Ruhe auf dem Kamp, die Verbundenheit mit der Natur und die Nähe zum Meer und ist fest entschlossen, irgendwann hierhin zu ziehen.

Enne, die ältere und auch irgendwie resoluter wirkende Jendrich-Schwester ist als Kind weitestgehend unsichtbar für die Erwachsenen, die sich um ihre jüngere und sehr kränkliche Schwester Suse sorgen. Die Familie wohnt in einem kleinen Fischerdorf, die Eltern arbeiten in der LPG. Als aus den Beiden Jugendliche werden, da ändert sich das Bild in soweit, als dass Suse plötzlich flügge wird. Immer wieder verschwindet sie ins Haus der Eigenbrötlerin Alma oder auf den Friedhof. Während Suse zum Grufti wird, überlegt Enne, was sie mit ihrem Leben anfangen will und fühlt sich von der Schauspielerei angezogen.

Die Geschichte beschreibt den Alltag der Schwestern, und plätschert angenehm vor sich hin. Immer wieder springt die Autorin dabei von der Vergangenheit in die Gegenwart und durchleuchtet dabei die Sommer der Mädchen, sowie deren Werdegang.

Ich mochte den irgendwie nüchternen und sehr direkten Ton und fand ganz besonders faszinierend, dass die Autorin eine permanente aber eher unterschwellige Spannung aufbaut. Zwischen den Erwachsenen, also Ennes Eltern und der Tante, gibt es viel Unausgesprochenes. Der Vater, der nach dem 2. Weltkrieg im russichen Gefangenenlager war und in der DDR nicht darüber sprechen darf, steht immer wieder seiner Schwester gegenüber, die den Krieg ein wenig zu verherrlicht. Immer wieder gibt es deshalb Streitereien und Andeutungen, wirklich ausgesprochen wird Vieles nicht. Hinzu kommt die Situation der DDR, die sich seit Ende der 1970er immer weiter zuspitzt. Die Mädchen geraten eher zufällig in eine Demo, die besonders Enne imponiert, vor der sie sich aber auch ein wenig fürchtet, denn ist nicht eigentlich alles gut in der DDR ?

Und dann, dann verschwindet Suse 1989 plötzlich. Hat sie rübergemacht ? Obwohl sie dazu gar keine Neigungen gezeigt hat ?

Die Familie ist plötzlich zerrissen, die Mutter wird krank vor Sorge und Enne versucht Beruf und Familie irgendwie unter einen Hut zu bringen, da zu sein, wann immer es geht. Während Christina noch immer nach ihrem Platz im Leben sucht.

Man muss bei diesem Roman viel zwischen den Zeilen lesen, weil die Autorin nicht alles exakt ausführt, aber genau dies hat für mich den Reiz ausgemacht. Es geht vorallem im letzten Teil, um die Verarbeitung von Verlust, den Umgang mit der Unwissenheit, die vor allem immerzu verunsichert. Und es geht auch darum, dass man sich manchmal mit Situationen abfinden oder sie loslassen muss.

Ich mochte die Figuren ebenso gern, wie den Ton der Autorin. Hin und wieder gab es aber kleine Logikfehler, bzw. Situationen und Momente, die ich nicht so ganz nachvollziehen und begreifen konnte, weshalb ich letzten Endes nur 4 Sterne vergebe. Aber alles in allem fand ich diesen Roman ziemlich großartig.