Rezension

Fehler im System

Glitsch -

Glitsch
von Adam Schwarz

Bewertet mit 3 Sternen

Obwohl ich mit Ruderbooten aufgewachsen und gern mit dem Kajak auf dem Wasser bin – auf größeren motorisierten Schiffen wird mir eher schlecht und ich muss die Nase eigentlich immer in den kalten Wind halten, damit ich mich nicht übergebe. Die Vorstellung Urlaub auf einem Kreuzfahrtschiff zu machen, erfüllt mich also eher mit Entsetzen als mit Sehnsucht. Zumal ja allgemein bekannt ist, dass Kreuzfahrten richtig mies fürs Klima sind. Adam Schwarz scheint auch kein großer Fan von Kreuzfahrten zu sein. Denn in seinem Roman „Glitsch“ erlebt Léon einen regelrechten Alptraum. Erst verschwindet seine Freundin, dann setzt er seine Kabine unter Wasser und verliert neben der Koje nahezu den Gaststatus auf dem Schiff. Als Ausweichquartier dient ihm eine Mitarbeiterkabine tief im Bauch des Schiffes und die fehlende Distanz zum Personal scheint seine Sinne zu verwirren. Bald können er und der Leser nicht mehr recht auseinanderhalten, was Realität oder Hirngespinst ist oder gehen an Bord wirklich all diese merkwürdigen Dinge vor sich, die Léon nach und nach erlebt und beobachtet?

Adam Schwarz‘ Roman ist für mich schwer einzuordnen. Er lässt mich mit ganz vielen Fragezeichen zurück und einem merkwürdigen Unbehagen, dass ich nicht wirklich erklären kann. Es ist nicht genau klar, wann diese Geschichte spielt. In einer nicht ganz so weit entfernten Zukunft wahrscheinlich, das Klima ist bereits gekippt und eine Kreuzfahrt durch die Arktis ein erstrebenswertes Ziel im europäischen Sommer. Dennoch hat sich grundlegend noch nicht so viel geändert. Die Menschen arbeiten, studieren und können sich noch Urlaub leisten. Léon begleitet seine etwas ältere Freundin auf der Reise nach Japan. Er studiert noch, während Kathrin bereits an ihrer Doktorarbeit schreibt. In Tokyo will sie an einer Konferenz teilnehmen und war wenig begeistert, als Léon sie begleiten wollte. Keine Ahnung, warum sie am Ende zugestimmt hat, denn die Stimmung zwischen den beiden ist frostig und bereits nach wenigen Seiten werde ich als Leser Zeuge, wie sich Kathrin klammheimlich aus dem Staub macht. Obwohl sie auf dem Dampfer nicht sehr weit kommen wird. Der plötzliche Kontaktabbruch reicht aber aus, um Léon in eine tiefe Krise zu stürzen, die äußerlich beginnt, sich aber wohl eigentlich eher in seinem Inneren abspielt.

Mir gelingt es nicht, die Situation ganz zu erfassen. Bis zum Schluss bin ich unsicher, wieviel ich Léon glauben darf. Die ganze Situation erscheint immer verrückter und unrealistischer. Léon scheint ganz in seiner eigenen Welt zu versumpfen, kiffend, computerspielend und Verschwörungstheorien nachhängend. Und gleichzeitig nehme ich seinem Erzählen ab, dass sich das Arbeiten über Monate auf so einem Riesenschiff negativ auf die Angestellten an Bord auswirken kann oder muss. Als Gast gehst du in der Regel nach drei Wochen wieder von Bord in dein eigenes Leben. Angestellt arbeitest du über Monate dort wo andere Urlaub machen und bist in der beengten Tiefe des Schiffes untergebracht ohne Komfort oder Luxus.

Da könnten sich die Realitäten ein wenig verschieben. Doch alles in allem scheint Léon ein echtes Problem zu haben. Der Romantitel klingelt in meinen Ohren und erinnert mich an einen Begriff aus der Computerspielewelt: Glitch – ein Fehler im System. Das, was eigentlich in einer bestimmten Weise angezeigt oder funktionieren soll, wird gestört oder verändert. Die Realität rutscht weg. So wie Léon auf dem Schiff ins Schlingern gerät.

So sehr mich die Geschichte auch irritiert, ich bleibe dennoch die gesamte Zeit an Bord. Mit reichlich Unbehagen, aber Adam Schwarz‘ Erzählen fängt mich immer wieder ein und hält mein Interesse aufrecht. Die Figur des Léon rührt mich und stößt mich gleichermaßen ab. Eine verlorene Seele in einer verlorenen Welt, nur eine Bugbreite von unserer entfernt.