Rezension

Folgen des Schweigens

Schwesternzeiten -

Schwesternzeiten
von Anke Schläger

Bewertet mit 5 Sternen

„...Ich wünschte nur, ihr hättet ein einziges Mal miteinander geredet. Wie zwei erwachsene Menschen...“

 

Diese Worte spricht Oma Sophie zu ihrer Enkelin Merle. Und sie ziehen sich wie ein roter Faden durch das Buch, denn die Zwillinge Merle und Hannah sind nicht die einzigen, die sich seit Jahren in Schweigen hüllen.Oma Sophie hat nie den Kontakt zu ihrer eigenen Zwillingsschwester Ida aufgenommen.

Die Autorin hat eine abwechslungsreiche Familiengeschichte geschrieben.

Die Personen werden gut charakterisiert. Merle kann nicht vergessen, dass sie einst Hannah mit ihrem Freund erwischt hat. Merle hat sich angewöhnt, bei Problemen wegzulaufen, statt sie weg zu diskutieren. Momentan macht sie ihr Referat als Lehrerin.

Hannah war mit 18 Jahren nach Amerika verschwunden. Ihren Schmerz über eine Anschuldigung der Schwester hatte sie schon Jahre zuvor mit wilden Abenteuern betäubt.

Die Schwestern waren schon als Kinder völlig unterschiedlich, Merle strebsam und ordentlich. Hannah bediente sich gern an den Sachen ihrer Schwester, die dann auch mal ganz verschwunden waren. Das ging lange gut, bevor eine unheilvolle Entwicklung einsetzte.

Jetzt ist Hannah zurück. Die Oma führt die jungen Frauen zusammen und stürzt an dem Tag. Im Krankenhaus wird ihr plötzlich klar, dass ihre Zeit begrenzt ist. Ihre Gedanken gehen zu ihrer Schwester Ida. Lebt sie noch?

 

„...Sophie macht sich ihre eigenen Vorwürfe. Hannah hat sich verändert. Warum will Merle nicht begreifen, dass es zwischen Schwarz und Weiß jede Menge Grautöne gibt?...“

 

Der Schriftstil lässt sich gut lesen. Er passt sich den Gegebenheiten an.

Als es so scheint, als wolle sich Sophie aufgeben, entscheiden die Zwillinge, einen Urlaub in Kroatien zu machen. Dorthin war Ida einst mit ihren Freund gezogen.

Sehr überzeugend wird erzählt, wie schwer es ist, bis Gräben überwunden werden und alte Wunden heilen. Vor allem Merles Reaktionen zeigen häufig wieder das alte Muster. Dabei ist mir als Leser schnell klar, dass Hannahs Leben in Amerika nicht der reinste Sonnenschein war. Für ihren reichen Gönner war sie ein besseres Spielzeug. Das dort noch ganz andere Sachen passiert sind, wird bald an ihrem Verhalten deutlich. In Worte gefasst, wird es dann relativ spät.

Sehr anschaulich wird die Insel Hvar beschrieben.

 

„...Jenseits der Anlegestelle beleuchten Straßenlaternen eine Promenade. Stari Grad wirkt klein und überschaubar, kein Vergleich zur Großstadt Split...“

 

Die Suche nach Ida und ihrem Mann Matko erweist sich als kompliziert. Angeblich kann sich keiner mehr an das Restaurant erinnern. Nach und nach bekomme ich als Leser ein Stück Geschichte serviert. Und die beginnt schon mit dem Zweiten Weltkrieg. Matkos Onkel Franjo hat auf der falschen Seite gestanden. Das wirkt bis zur Generation der enkel nach. Der Zerfall Jugoslawiens hat die Situation nicht besser gemacht.

 

„...Franjo wollte durch die Welt reisen. Vielleicht hat er sich deshalb von der deutschen Wehrmacht anheuern lassen...“

 

Warum war Matko nicht mit Ida in Deutschland geblieben? Auch diese Frage wird im Buch beantwortet. Und sie belastet Sophie bis heute. Sie hat damals geschwiegen. Noch ahnt sie nicht, dass das Leben für Ida in Kroatien eigentlich ein dauernder Kampf ums Überleben ist.

Die jungen Frauen finden in Kroatien den Weg zueinander. Bei der älteren Generation dauert es länger. Es ist Merle und Hannah zu verdanken, dass der 80. Geburtstag von Sophie und Ida zu einem besonderen wird.

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Die unterschiedlichen Schicksale wirken authentisch.