Rezension

Für alle, die gegen Windmühlen kämpfen

Morgen irgendwo am Meer - Adriana Popescu

Morgen irgendwo am Meer
von Adriana Popescu

Bewertet mit 4 Sternen

Ein phantastisch erzählter Jugendroman, der sich in einer sommerlichen Urlaubskulisse mit den traurigen und dunklen Seiten des Lebens auseinandersetzt.

„Na ja, er ist recht offensichtlich nicht so, wie er sich gibt.“ „Siehst du das durch deine Kamera?“ „Auch.“ „Und was verrät dir die sonst noch so?“ Gute Frage. Eigentlich lasse ich lieber die Fotos sprechen, aber ich will es mal mit Worten versuchen. „Die meisten Menschen geben vor, etwas oder jemand zu sein, der sie nicht sind. Und weil Fotos die Zeit überdauern, versuchen sie beim Posieren, ein Vermächtnis zu hinterlassen, das sie so zeigt, wie sie gerne wären.“

Nele in „Morgen irgendwo am Meer“, S. 301

Der Roman „Morgen irgendwo am Meer“ von Adriana Popescu ist 2019 im cbj Verlag erschienen. Das Taschenbuch ist selbst gekauft.

Darum geht’s:

Romy, Julian und Konrad stehen vor der großen Frage, wie sie ihr Leben gestalten möchten. Die Schule ist geschafft, bzw. in Konrads Fall fast geschafft, und zwischen ihnen und der noch vagen Zukunft liegt ein Sommer, der vieles verändern wird. Kurzentschlossen begeben sich die drei in einem alten Mercedes auf einen Road Trip durch Frankreich und Spanien bis nach Portugal. Unterwegs gabeln sie Nele auf, die eine Mitfahrgelegenheit bis Barcelona sucht. Auf dieser Reise spüren sie, dass sie zunächst sich selbst finden und akzeptieren müssen, bevor sie entscheiden können, wer sie werden wollen.

Mein Leseerlebnis:

Der Trip der vier jungen Erwachsenen hat mich selbst wieder in dieses Alter katapultiert. Die Erinnerung an das Gefühl der Freiheit und gleichzeitig der Ungewissheit vor und nach dem Abitur war während der Lektüre durchgängig präsent und ich musste an viele Erlebnisse und Erfahrungen dieser Jahre zurückdenken. Tatsächlich habe ich die Reise der Gruppe selbst gemacht. Mit dem Eurolinerbus ging es durch Frankreich und Spanien, bis an die portugiesische Westküste. Auch ich habe meine Selbstsicherheit in der Begegnung mit lieben Menschen gefunden und denke mit Dankbarkeit zurück.

Portugal ist bis heute ein Sehnsuchtsort für mich. Daher hat es mich doch ziemlich gestört, dass die „Letzte Bratwurst vor Amerika“ kurzerhand in die Umgebung von Lissabon gelegt wurde. Es gibt diese lustige Touristenattraktion wirklich. Die Fressbude steht allerdings am Cabo de São Vicente, dem südwestlichsten Punkt des europäischen Festlands, was tatsächlich auch ein sehr schönes Ziel für die vier gewesen wäre. Ich hätte mit der künstlerischen Freiheit leben können, wenn der reale Ort zumindest im Nachwort vorgestellt worden wäre.

Von Adriana Popescus Erzählstil bin ich absolut begeistert. Im Wechsel schauen die Leser*innen durch die Augen einer anderen Protagonist*in. Gerade die Beziehungen und Meinungen der vier untereinander werden dadurch sehr spannend erzählt, denn alle haben natürlich andere Vorkenntnisse voneinander und blicken einander im wahrsten Sinne des Wortes mit anderen Augen an. Stück für Stück setzt sich für die Leser*innen ein Gesamtbild der vier sehr unterschiedlichen Protagonist*innen zusammen. Ihre Gedanken und Blickpunkte geben Informationen zu den jeweils anderen preis, sind aber immer auch ein Stück Selbstoffenbarung.

Die Hauptgeschichte ist allerdings kein lustiger Sommertrip, sondern eine dramatische Geschichte über Schicksalsschläge, mit denen die Jugendlichen konfrontiert waren und die ihr ganzes Dasein prägen. Die sommerlich-leichte Reise steht in einem krassen Gegensatz zum Innenleben der Protagonist*innen. Es war für mich teilweise sehr schwer auszuhalten, was insbesondere Romy und Konrad durchleiden mussten und müssen.

Dennoch empfinde ich es als sehr wichtig, dass sich die Gesellschaft und auch junge Leser*innen mit diesen Themen auseinandersetzen. Bei aller Dramatik und dem geschilderten Leid bleibt der Roman voller Hoffnung und zeigt auf, dass es Heilung gibt, zu der man manchmal nur findet, wenn man die Finsternis akzeptiert.

Fazit: 

MORGEN IRGENDWO AM MEER ist ein phantastisch erzählter Jugendroman, der sich in einer sommerlichen Urlaubskulisse mit den traurigen und dunklen Seiten des Lebens auseinandersetzt. Er erzählt von Ängsten, Trauer und Unsicherheiten, aber auch von Hoffnung, Liebe, Heilung und vier jungen Menschen, die man einfach ins Herz schließt.