Rezension

Ganz nah, ganz dicht, ganz echt

Nächte im Tunnel -

Nächte im Tunnel
von Anna Woltz

„Nächte im Tunnel“ ist intensive, ergreifende, nachhaltig beeindruckende Literatur für Menschen ab 14 Jahren. Mit starken, empathischen weiblichen Protagonistinnen und genauso starken wie verletzlichen männlichen Charakteren. Mit mutigen Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Die leben und lieben wollen. Über den Krieg hinaus. Aber auch über gesellschaftliche Grenzen hinaus.

Ella lebt gerade erst wieder. Kann gerade erst wieder atmen. Nachdem sie Monate lang von einer Maschine am Leben erhalte wurde. Nur um nun unter der Erde zu hocken. Schon wieder keine Luft zu bekommen. In einem U-Bahntunnel in London. Mit ihrem kleinen Bruder Robbie und hunderten anderer Menschen. Während Flieger die Stadt von oben mit Bomben übergießen.

Als sie Quinn kennenlernt, erwacht Ellas Lebenswillen. Wie aus einer anderen Welt schwebt das andere Mädchen durch die Trümmer. Voller Tatendrang, Mut und Kraft. Dagegen weckt Jay erst einmal nur Wut in ihr. Doch der Junge, der sich ganz allein durch schlagen muss, rührt nach und nach auch anderes in ihr.

Gebannt verschlang ich Seite um Seite

Anna Woltz schaffte es mit „Nächte im Tunnel“ wieder, mich vollkommen in ihre Welt zu ziehen. Gebannt verschlang ich Seite um Seite. Es raubte mir den Schlaf. Musste ich doch wissen, wie es mit Ella, Quinn, Ronnie und Jay endet. Schließlich erfahren wir schon im zweiten Satz des Romans, dass einer von ihnen sterben wird.

Bis zum Schluss fieberte ich mit. War mir unschlüssig, bei wem ich es am ehesten verkraften könnte. Wünschte, alle würden es schaffen. Autoren machen sowas ja manchmal. Doch hat das Leben nun mal nicht immer ein Happy End. Besonders nicht im Krieg. Anna Woltz weiß das. Und das ist gut so.

Ich schreibe diese Zeilen und Gänsehaut überzieht meine Arme. Schon wieder. Zu schreiben „Nächte im Tunnel“ sei ein gutes Buch, trifft es für mich nicht annährend. Ella erzählt ihre Geschichte ganz nah, ganz dicht, ganz echt. Ich war mit ihr im Tunnel. Lief mit ihr durch das zerstörte London. Teilte ihre Angst. Sorgte mich unbändig um ihren Bruder und ihre Familie. Gleichzeitig verstand ich ihre Ungeduld, ihren Widerwillen, ihren Aufbruchsdrang. Ihre Liebe zur Geschichte. Ihren Wunsch zur Flucht.

Ich lernte so viel über das Leben der Menschen während des Zweiten Weltkriegs in der britischen Metropole. Lernte auch viel über Polio (Kinderlähmung). Recherchierte die Anfänge und den Einsatz der Eisernen Lungen. Und war mal wieder so dankbar im Hier und Heute zu leben.