Rezension

Garvie Smith - Schulschwänzer und moderner Sherlock Holmes

Zu schön, um tot zu sein - Simon Mason

Zu schön, um tot zu sein
von Simon Mason

Bewertet mit 4.5 Sternen

Garvie Smith wird von seinen Freunden bewundernd "Sherlock" genannt - und tatsächlich hat er einiges gemein mit dem berühmten Meisterdetektiv! Garvie verfügt nicht nur über einen messerscharfen Verstand, ein fotographisches Gedächtnis und eine unglaubliche Beobachtungsgabe, sondern er teilt auch viele von Holmes' weniger positiven Eigenschaften.

Wenn sein Verstand nicht gerade herausgefordert und beschäftigt wird, verfällt der Junge in lethargische Faulheit, liegt stundenlang auf dem Bett und starrt an die Decke, und dann macht er sich auch nicht die Mühe, sich in die Schule zu schleppen - weswegen er trotz seiner herausragenden Intelligenz grottenschlechte Noten hat. Verfiel Sherlock Holmes nach einem Fall in diese träge Depression, griff er in den Originalgeschichten von Conan Doyle zu Kokain und Morphium; Garvie beschränkt sich auf Joints und Alkohol. Zu seinen Freunden zählen Jugendliche, die sich am Rande der Legalität bewegen, wie z.B. Drogendealer und angehende Meistereinbrecher, und überhaupt hat er in der ganzen Stadt Kontakte, in allen Gesellschaftsschichten.

Genau wie Holmes hat Garvie manchmal nur wenig Geduld mit den weniger intelligenten Menschen um ihn herum und erscheint dadurch arrogant, kann aber auch sehr charmant und einnehmend sein. Er ist also ganz sicher kein einfacher Mensch - aber ein großartiger Buchcharakter, nicht nur für Fans von Sherlock Holmes! Mir hat gerade gut gefallen, dass er kein perfekter Musterschüler ist, sondern ein zwiespältiger junger Mann mit Fehlern und Schwächen, der im Laufe des Buches auch menschlich an seinen Herausforderungen wächst.

Auch die Nebencharaktere fand ich vielschichtig, glaubwürdig und interessant. Liebenswert und rührend ist zum Beispiel Taxifahrer Abdul, dem Garvies Mutter bei der Einwanderung geholfen hat und der Garvie seither loyal ergeben ist. Auch Detective Inspector Singh ist mir immer mehr ans Herz gewachsen - der bedauernswerte Ermittler, der kaum einen Schritt tun kann, ohne dass Garvie ihm bereits zuvorgekommen ist. Dabei ist es sein erster großer Fall, den er auf keinen Fall in den Sand setzen darf! Gegen Ende des Buches entwickelt sich so etwas wie Respekt zwischen Garvie und DI Singh, und ich würde mich sehr freuen, wenn dieses Buch der Start einer Krimireihe rund um dieses ungleiche Duo wäre.

In Grunde ist DI Singh für Garvie, was Inspector Lestrade für Holmes war. Wenn ich allerdings bisher den Eindruck erweckt habe, dass Simon Mason eigentlich nur über eine schale Kopie von Sherlock Holmes schreibt, dann täuscht das. Denn ja, die Übereinstimmungen sind offensichtlich und sicher auch eine gewollte Hommage, aber Garvie ist dennoch ein ganz eigener, origineller Charakter, der seine ganz eigene, originelle Geschichte erlebt. Ich hatte nie den Eindruck, etwas zu lesen, was man schon tausendfach in anderen Krimis gelesen hat, im Gegenteil: ich fand das Buch erfrischend neu und anders.

Für Garvie ist der Fall anfangs wenig mehr als ein ein logisches Rätsel, eine Herausforderung für seinen Verstand. Dabei geht es hier um ein junges Mädchen, das ermordet wurde! Ein Mädchen, dass jeder kannte und anscheinend keiner mochte, und dessen große Träume und Hoffnungen nun damit enden, dass sie erwürgt aus einem Teich gefischt wird. Ich fand es sehr spannend mitzuverfolgen, wie auch Garvie nach und nach realisiert, dass das kein Spiel mehr ist, wie er Mitgefühl und Sympathie für das Opfer entwickelt... Und spannend war die Geschichte ohnehin, denn der Autor legt viele falsche Fährten und präsentiert dem Leser eine unerwartete Wendung nach der anderen! Immer, wenn man denkt, man hätte den Fall durchschaut, legt er die nächste Karte auf den Tisch und damit ändert sich wieder alles. Besonders über das ermordete Mädchen erfährt man immer wieder Neues, was sie in anderem Licht erscheinend lässt.

Der Schreibstil ist klar und eher einfach, aber dabei nicht langweilig. Diese Klarheit passt gut zu Garvies Art und Weise, zu denken, und dadurch bilden Schreibstil und Geschichte stets eine schlüssige Einheit. Manche Dialoge sind in Form von Vernehmungsprotokollen geschrieben, was den Fluss der Geschichte immer mal wieder auflockert und auch eine Spur von trockenem Humor hineinbringt.

Fazit:
Garvie Smith ermittelt in einem Mordfall - dabei ist er kein Polizist, sondern nur ein gelangweilter 16-jähriger mit dem Verstand von Sherlock Holmes, dem Charme von James Bond und dem ganzen verächtlichen Trotz eines von sich selbst überzeugten Teenagers. Und das Ganze liest sich wunderbar spannend und alles andere als vorhersehbar! Ich habe das Buch als Leserin Ü30 mit viel Vergnügen gelesen, aber ich bin mir sicher, dass es auch und besonders jugendliche Leser ansprechen wird - sowohl Mädchen als auch Jungen.