Rezension

Gelungene Mischung aus historischer Biografie und Gerichtsreportage

Joseph Süßkind Oppenheimer -

Joseph Süßkind Oppenheimer
von Raquel Erdtmann

Bewertet mit 5 Sternen

REZENSION – Am 4. Februar 1738 wurde der erst 40-jährige jüdische Großkaufmann Joseph Süßkind Oppenheimer – in den Jahren ab 1732 als Hof- und Kriegsfaktor und ab 1736 als Geheimer Finanzrat des württembergischen Herzogs Carl Alexander tätig – unmittelbar nach des Herzogs überraschendem Tod aufgrund judenfeindlicher Anschuldigungen und Verleumdungen enteignet, angeklagt, nach Festungshaft elf Monate später hingerichtet und sein Leichnam sechs Jahre lang in einem hoch aufgehängtem Käfig zur Schau gestellt. Wir meinen, die Geschichte über diesen Justizmord zu kennen. Aber kennen wir sie tatsächlich? „Es ist nicht leicht, sich einer Person zu nähern, über die so viel geschrieben wurde, obwohl sich bislang nur eine Handvoll Leute tatsächlich mit den Prozessakten des Falles Oppenheimer beschäftigt hat“, schreibt Raquel Erdtmann im Nachwort zu ihrem im April beim Steidl Verlag veröffentlichten Buch „Joseph Süßkind Oppenheimer. Ein Justizmord“.

Tatsächlich waren die Prozessakten des Falles bis 1918 unter Verschluss. „Sehr groß war und ist das Interesse bis heute nicht“, schreibt Erdtmann Zwar hatte nur wenige Jahre später Lion Feuchtwanger diesen historischen Justizmord in seinem Roman „Jüd Süß“ bereits verarbeitet, während die Nazis für ihren antisemitischen Propaganda-Film wohl eher Wilhelm Hauffs Novelle „Jud Süß“ (1828) als Vorlage missbrauchten. Doch erst Anfang der 1990er Jahre hatte sich der Historiker Hellmuth G. Haasis (1942-2024) intensiv mit den Prozessakten und weiteren Originaldokumenten befasst und mehrere Bücher darüber veröffentlicht, so auch die Biografie „Joseph Süß Oppenheimer, genannt Jud Süß. Finanzier, Freidenker, Justizopfer“ (1998).

Inzwischen ist wieder eine Generation vergangen. „Es liegt in der Natur der Sache, dass sich jede Generation aus ihrem eigenen Blickwinkel und mit dem eigenen Gepäck der Geschichte nähert“, betont Erdtmann nun ausdrücklich im Nachwort. Als gelernte Journalistin hat sich die erfahrene Gerichtsreporterin für ihre historische Spurensuche durch acht Meter Archivbestand gearbeitet. Doch „eine gewisse Unschärfe bleibt“, sichert sich die Autorin vorsorglich ab: Auch die originalen Prozessakten vermitteln nur „ein gefärbtes, ganz und gar einseitiges Bild“, verfasst vom mehrheitlich aus Gegnern Oppenheimers zusammengesetzten Gericht.

Als Ergebnis ihrer Recherche schildert Erdtmann nun das überaus erfolgreiche Leben des ungewöhnlich intelligenten und selbstbewussten Joseph Süß Oppenheimer, der aus seiner geistigen und kaufmännischen Überlegenheit sich für Juden damaliger Epoche ungebührliche Freiheiten herausnimmt, die ihn sowohl bei den Juden, aber erst recht bei den Christen im kleinstaatlichen, bürgerlich strukturierten Württemberg hochmütig und arrogant wirken lassen. Vom katholischen Herzog gefördert, schafft sich der unangepasste Oppenheimer durch sein barockes Auftreten nicht nur bei im Ghetto lebenden Glaubensgenossen, sondern durch seine allzu modernen Staatsreformen auch im protestantischen Ständestaat nur Feinde und Neider, weshalb selbst seine Nutznießer vor Gericht später gegen ihn aussagen – auch um angesichts allgemeiner Rachegelüste bei den Repräsentanten der Stände ihre eigene Haut zu retten.

Erdtmann vermeidet literarische Interpretationsversuche, sondern hält sich strikt an Fakten und Original-Zitate, stellt manche einander gegenüber, um deren Aussage zu bestätigen oder Widersprüche aufzuzeigen. Interessant sind dabei nicht nur ihre Ergänzungen über das Leben der Juden und ihre gesellschaftliche Stellung im 18. Jahrhundert, sondern auch die Einschübe aus alttestamentarischen und jüdischen Schriften, als deren Kennerin sich Raquel Erdtmann schon 2014 mit ihrem Kinderbuch „Die Geschichte von Purim. Das Buch Esther“ erwiesen hat.

Das Buch „Joseph Süßkind Oppenheimer. Ein Justizmord“ ist eine Mischung aus historisch interessanter Biografie über Aufstieg und Fall eines überaus ungewöhnlichen Mannes, zugleich aber auch eine spannende Gerichtsreportage, durch die wir viel über das württembergische Justizsystem im 18. Jahrhundert erfahren. Raquel Erdtmann ist es auf nur 270 Seiten vorbildlich gelungen, die Vielzahl historischer Fakten und Zitate zwar sachlich korrekt, dennoch in einem lockeren, teilweise sogar schnoddrigem Ton zu einer auch für Nicht-Historiker leicht lesbaren und spannenden Lektüre werden zu lassen.