Rezension

Gelungener Erstlingsroman zwischen Moorleichen und Kindheitstrauma

Opfermoor - Susanne Jansson

Opfermoor
von Susanne Jansson

Bewertet mit 5 Sternen

Es ist Herbst in Mossmarken, als Nathalie in Sichtweite des Moorgebiets eine einfache Ferienhütte mietet, um die letzten Feldstudien für ihre Promotion in Biologie über die Wirkung von Treibhausgasen auf Moorlandschaften durchzuführen. Zunächst erkennt niemand die junge Frau, die als Kind in dem kleinen Ort in der Nähe des Vänersees gelebt hat. Nur zögernd freundet sich Nathalie mit Johannes an, der täglich an ihrem Häuschen vorbei joggt. Johannes studiert an einer Kunstschule, ist zurückhaltend und interessiert an Nathalies Arbeit. Nathalies ungewöhnliches Beharren darauf, in einer jungen Liebesbeziehung um jeden Preis die Kontrolle zu behalten und die Information, dass sie nicht bei ihren leiblichen Eltern aufgewachsen ist, ließ mich sofort vermuten, dass ein unverarbeitetes Trauma sie belastet. Sie scheint außer ihrer Arbeit an der Promotion in der moorigen Gegend etwas Düsteres zu planen, einen Knoten durchschlagen zu wollen und dennoch ihren eigenen Motiven zu misstrauen. An einem stürmischen Abend wird Johannes beim Abkürzen seiner Joggingstrecke über den Bohlenweg im Moor zusammengeschlagen und schwer verletzt.

Die Ermittlungen in Johannes Fall führt Leif Berggren durch, ein Inspektor kurz vor der Pensionierung. Als halboffizielle Assistentin arbeitet die Polizeifotografin Maya Linde mit Berggren zusammen, die frisch von einem USA-Aufenthalt nach Mossmarken zurückgekehrt ist. Nach einer Phase der Abwanderung entpuppt sich die junge Kunstszene im Ort gerade als Besuchermagnet für Touristen. Für eine Fotoausstellung über das Moor schmiedet Maya bereits Pläne. Susanne Janssons Roman bezieht aus diesem Setting seine für die Gegend originelle Besetzung. Während Johannes noch immer bewusstlos ist, wird im Moor ein Toter in moderner Lederjacke gefunden.

Moorleichen haben die Menschen schon immer fasziniert. Wenn in einem Moorgebiet Torf zum Heizen abgebaut wird, ist es eigentlich logisch, dass dabei Tote entdeckt werden, da Moorboden Leichen dauerhaft konserviert. Dass der tote Lederjackenträger einen Beutel bei sich hatte mit Goldzehnern, auffälligen Zehnkronenstücken, weckt im Ort nun das Raunen um Wiedergänger aus dem Moor. Bewohner von Moorgegenden glaubten früher, dass die Seelen der Toten in einem Moor nicht zur Ruhe kommen und die Toten sich deshalb weitere Opfer zu ihrer Besänftigung holen. Für einen so kleinen Ort ist um den Gutshof von Mossmarken auffällig viel passiert. Nachdem eine Moorleiche aus der Eisenzeit geborgen und ins Museum gebracht wurde, verschwanden schon mehrere Einwohner. Wenn Nathalie sich daran erinnert, wie sie als Kind mit ihrer besten Freundin verbotenerweise im Moor spielte, kann es einem noch heute beim Lesen kalt den Rücken herunterlaufen.

Nathalie gibt lange nicht zu erkennen, dass sie früher einmal in Mossmarken gelebt hat und die unheimlichen Ereignisse in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft passierten. Während sie als Wissenschaftlerin beschreibt, was sie wahrnimmt, entsteht das Bild einer Frau, die in den Naturwissenschaften den Rückhalt sucht, den ihr das Leben nicht geben konnte. Nathalies Begegnung mit Göran, dem Nachbarn ihrer Eltern, treibt sie schließlich dazu, endlich ihre Erinnerungen zuzulassen an das, was sie als Kind miterlebte. Göran war früher Professor für theoretische Physik und lebte schon in Nathalies Kindheit in einer Welt der Gespenster und des Übernatürlichen. Heute beharrt er noch immer darauf, dass mit Mossmarken etwas nicht stimmt.

Susanne Jansson schafft in ihrem Erstlingsroman, der in Deutschland nicht als Krimi vermarktet wird, mit einfachen, klaren Sätzen ein stimmungsvolles Bild der herbstlichen Landschaft zwischen Dalsland und Värmland. Während man als Leser leichtfüßig durch die Seiten gleitet, entfaltet sich umfangreiches Wissen unterschiedlicher Figuren über Moore, Moorleichen und die regionalen Überlieferungen. Ausgerechnet zwei Naturwissenschaftler befassen sich intensiv mit dem Übergang von Realität und spirituellem Erleben, von historischen zu aktuellen Ereignissen. Beobachtungen, Ängste und Vermutungen verflechten sich zu einer düsteren Szenerie, die durch Nathalies Leben in einer einfachen Hütte intensiviert wird. Die Verarbeitung von Nathalies Kindheitserlebnissen könnte man als Überwindung von Grenzen sehen, aber auch die eigene Einschätzung. Erlebe ich in der Handlung eher vertraute Personen als Gefahr oder auffällige Exzentriker? Neben der besonderen Atmosphäre von Herbsttagen in einer Moorgegend hat mich besonders fasziniert, wie Nathalie Dinge und Vorgänge als belebt wahrnimmt. Das Moor, Wetterscheinungen, aber auch Häuser, nehmen Kontakt zu ihr auf, so dass ich sie mir als Lebewesen vorstellte, die ihre Arme nach ihr ausstrecken. „Sie ließ sich von der Umgebung mustern.“ (S. 115) Der Prolog zeigte sich als tückischer Antreiber, weil ich unbedingt wissen wollte, auf welchen der geschilderten „Fälle“ sich die Szene bezieht. Da die Anwohner von Mooren von Jansson als ungewöhnlich sensibel dargestellt werden, schließe ich nicht aus, dass es sich bei den Zeugen im Prolog um Moorgeister oder Feen handeln kann.

Ein originelles Setting in einer bisher dünn besiedelten Gegend, ein Kindheitstrauma, unkonventionelle Ermittlungsmethoden und unterhaltsam servierte Fakten über Moore fügen sich hier zu einem unerwartet runden Erstlingsroman.