Rezension

Gelungener feministischer Ratgeber, der Mädchen ermuntert, ganz sie selbst zu sein

How to be a girl - Julia Korbik

How to be a girl
von Julia Korbik

~ „How to be a girl“ ist ein wichtiges Buch, das bei den Jugendlichen von heute (der Gesellschaft von morgen!) ansetzt und diese für Sexismus, veraltete gesellschaftliche Erwartungen und schädliche Geschlechterstereotypen sensibilisiert. Julia Korbik schreibt mutig und informativ gegen Misogynie, Slut shaming und Gewalt gegen Frauen an, widerlegt verbreitete Mythen, ermuntert Mädchen, sie selbst zu sein und sich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren, und kämpft mit ihrem Buch für mehr Toleranz, Selbstbestimmung, Freiheit und eine glücklichere, gleichberechtigte Zukunft. Lediglich auf die Zielgruppe hätte die Autorin etwas mehr eingehen (teilweise wirken die Ausführungen zu trocken oder belehrend) und bei ihren Ratschlägen in manchen Kapiteln mehr in die Tiefe gehen können. Ansonsten handelt es sich hier aber um ein rundum gelungenes Buch, das ich euch und euren Töchtern, Nichten, Cousinen und Schwestern nur ans Herz legen kann. ~

Inhalt

Schlank muss man als junge Frau sein, wunderschön, glatte Haut, glänzendes Haar und hohe Wangenknochen haben. Oder? Die gesellschaftlichen Erwartungen, die in der heutigen Zeit von allen Seiten auf Mädchen und junge Frauen einprasseln und die unerreichbaren Schönheitsideale, die Modemagazine und Werbespots propagieren, sind erdrückend und drängen Jugendliche dazu, sich Ziele zu stecken, die sie niemals erreichen können. Julia Korbik hat mit ihren neuen Buch einen modernen Kompass geschaffen, der mit populären Mythen aufräumt und Mädchen ermuntert, sich zu trauen, sie selbst zu sein und ihren eigenen Weg zu gehen. Denn das ist auch im Jahre 2019 für Mädchen leider nicht so einfach, wie es sein sollte.

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Genre: Sachbuch für 13-16-Jährige
Verlag: Gabriel in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Seitenzahl: 160
Tiere im Buch: Es kommen keine Tiere im Buch vor.

Warum dieses Buch?

Als angehende Lehrerin, Frau und Feministin liegt mir das Thema Gleichberechtigung sehr am Herzen, da ich mir eine tolerantere, freiere und glücklichere Zukunft für die folgenden Generationen wünsche. Immer noch haben Frauen mit vielen Nachteilen zu kämpfen, immer noch haben wir (leider!) den Feminismus bitter nötig (wer mir an dieser Stelle widersprechen möchte, sollte sich zuerst intensiv mit dem Thema auseinandersetzen, denn auch ich war früher anderer Meinung). Ich hatte große Hoffnungen, dass dieses Buch bei jungen Mädchen Bewusstsein schafft für veraltete Rollenbilder und die schädlichen, einengenden Erwartungen, mit denen Frauen auch im 21. Jahrhundert immer noch konfrontiert sind.

Meine Meinung

Aufbau & Einstieg (+)

Der Aufbau ist übersichtlich. Das Buch ist in fünf größere Kapitel unterteilt, die verschiedene Unteraspekte des jeweiligen Themas behandeln. Einem kurzen Vorwort, das die Motivation hinter diesem Buch erklärt, folgen abwechslungsreiche Kapitel, die neben viel Fließtext unter anderem auch Listen, Exkurse, Kurzbiographien von starken Frauen und Männern, die sich für Gleichberechtigung einsetzen, und Begriffserklärungen enthalten. So wird es niemals langweilig und der Fließtext wird in gut verdauliche Häppchen unterteilt. Am Ende gibt es noch ein Verzeichnis mit weiterführender Literatur – Interessierte bekommen hier also Buchtipps, wenn sie sich näher mit dem Thema beschäftigen möchten. Nicht optimal fand ich, dass die Checklisten oft den Fließtext unterbrochen haben und ich dadurch oft aus dem Lesefluss gerissen wurde. Die interessanten Einschübe hätte man am Ende oder Anfang eines Unterkapitels platzieren sollen.

Schreibstil (+/-)

„Hinter dem Mythos Girl Hate steckt ein gesellschaftliches Problem: Er trägt dazu bei, dass Mädchen sich selbst und andere Mädchen klein halten und sich untereinander bekämpfen. Und er verhindert, dass sie ihre Energie in andere Dinge stecken. Die Eroberung der Welt, zum Beispiel.“ Seite 28

Der Schreibstil hat mir gut gefallen. Er ist einfach, macht Mädchen Mut und nimmt ihre Sorgen ernst. In einem freundschaftlichen Ton und nie von oben herab behandelt die Autorin wichtige Themen. Immer wieder spricht sie hierbei ihre Leser_innen direkt an, was mir auch sehr gut gefallen hat. Hin und wieder wird der Ton leider doch zu belehrend – es besteht die Gefahr, dass Jugendliche dadurch abgeschreckt werden bzw. das Buch weglegen, um dagegen zu rebellieren. Teilweise hätte ich mir auch gewünscht, dass die Autorin schneller auf den Punkt kommt und bei manchen Aspekten mehr in die Tiefe geht (die Ratschläge bleiben manchmal doch sehr oberflächlich und allgemein).

Inhalt (+)

„Bilder sind vor allem dann gefährlich, wenn sie auf bereits ausgeprägte Schwächen treffen – und diese Schwächen sind bei Mädchen und Frauen reichlich vorhanden, schließlich wird ihnen ständig eingeredet, sie seien unzulänglich. Sie lernen geradezu, ihren Körper auf Makel und Fehler hin zu untersuchen: Wir schauen unseren Körper an, um zu sehen, was damit nicht stimmt.“ Seite 44

Eine Sache vorweg: Ich habe mir vor dem Schreiben dieser Rezension andere Bewertungen durchgelesen und war teilweise schockiert, was darin stand. Man bräuchte so ein Buch doch nicht, wir hätten ja schon vollständige Gleichberechtigung erreicht – und überhaupt, in einem Buch für Jugendliche Feminismus anzusprechen – das geht gar nicht! Das kann ich absolut nicht verstehen! Gerade im Jugendalter werden Rollenvorstellungen verinnerlicht und die eigene Persönlichkeit und das eigene Wertesystem werden ausgebildet. Wenn man Menschen in diesem Alter nicht für das Thema sensibilisieren soll – wann denn dann? Ich sehe das daher vollkommen anders: Die Jugendlichen von heute sind die Gesellschaft von morgen, darum müssen wir bei ihnen ansetzen, wenn wir die Zukunft verändern wollen. Zudem hat bis zum heutigen Tag noch kein einziges Land der Welt vollkommene Gleichstellung erreicht – das ist Fakt! Wer sich eingehend mit diesem Thema beschäftigt, dem wird das auch schnell klar.

In fünf Kapiteln enttarnt Julia Korbik Sexismus und widerlegt verbreitete Mythen (wie die Behauptung, dass der unheimliche Fremde die größte Gefahr für uns Frauen darstellt), schafft Bewusstsein für schädliche gesellschaftliche Erwartungen, denen wir uns oft unbewusst beugen, erklärt die wichtigsten feministischen Begriffe und schreibt mutig und sehr informativ gegen Intoleranz, Misogynie und Gewalt gegen Frauen an. Auch wenn die konkreten Tipps der Autorin nicht immer als innovativ und bahnbrechend eingestuft werden können und auch wenn sie bei ihrem nächsten Werk vielleicht noch mehr darauf achten sollte, dass es wirklich durchgehend Spaß macht, dieses zu lesen (hier könnte noch ein wenig mehr auf die Zielgruppe eingegangen werden), so wurde hier doch ein sehr wichtiges Buch geschaffen, das Individualität, Selbstbestimmung und (weibliche) Freiheit feiert.

„Ein Unbekannter stürzt hervor, eventuell hat er sogar eine Waffe. Er überfällt die Frau, vergewaltigt sie und lässt sie danach hilflos im Gras liegen. Die Wahrheit ist aber: Eine Vergewaltigung kann jederzeit passieren und von Menschen verübt werden, die du kennst, mit denen du bekannt, befreundet, verwandt oder in einer Beziehung bist. Gewalt gegen Mädchen und Frauen, ob sexualisiert oder nicht, wird zu einem hohen Prozentsatz von Männern aus dem Bekannten- und Familienkreis begangen.“ Seite 111

Obwohl dieses Buch gut gelungen ist, ist es nicht perfekt: Der Spaß bleibt bei manchen trockeneren Kapiteln (wie zum Beispiel jenen über Geschichte) meiner Meinung nach hin und wieder etwas auf der Strecke und das Werk ähnelt zu stark einem Lehrbuch, dennoch thematisiert Julia Korbik viele Themen, die die Altersgruppe bewegen. Es geht um unerreichbare Schönheitsideale, die Wichtigkeit des Genderns (Sprache schafft Bewusstsein!), um Offenheit und Toleranz gegenüber Minderheiten, um die Schädlichkeit von Geschlechterstereotypen (starre Geschlechterbilder sind übrigens ein Risikofaktor für Gewalt gegen Frauen), beeindruckende Persönlichkeiten, die nicht dem traditionellen Rollenbild entsprechen und die die Welt mit ihren Leistungen verändert haben, um das Umgehen mit starken Gefühlen wie Wut, um die negativen Konsequenzen von starren Männlichkeitsvorstellungen (höhere Selbstmordrate!) und um Body shaming. Auch sexistische Werbung und frauenfeindliche Konzepte wie „Stutenbissigkeit“, Victim blaming und Slut shaming werden thematisiert und kritisiert. Selbstbestimmung und Einverständnis sind ebenfalls wichtige Themen. Dabei werden immer wieder seriöse Quellen zitiert, die das Gesagte untermauern. 

Wer übrigens behauptet, dass die Grenzen zwischen einvernehmlicher Intimität und Zwang gerne mal verschwimmen und dass das alles sehr verwirrend sei, dem empfehle ich, bei Youtube „Tea Consent“ oder (auf Deutsch) „Beiderseitiges Einverständnis – Tee“ einzugeben und das Video auf sich wirken zu lassen. Das sollte alle Unklarheiten beseitigen. „How to be a girl“ ist ein wichtiges Buch, das Mädchen ermutigt, ganz sie selbst zu sein, Bewusstsein für einengende, schädliche gesellschaftliche Erwartungen schafft und sie ermuntert, sich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren. Solange sich Menschen über Bücher wie dieses aufregen und behaupten, dass wir sie ja gar nicht nötig hätten und dass „feministische Ideologie“ nichts in einem Jugendbuch zu suchen hätte, solange können wir uns sicher sein, dass wir diese Literatur bitter nötig haben.

„Oft wird so getan, als könnte der männliche Teil der Bevölkerung gar nicht wissen, was angemessenes Verhalten gegenüber Mädchen und Frauen ist, weil das Empfinden von Belästigung rein subjektiv sei. […] Aber: Untersuchungen zeigen, dass es sehr wohl so etwas wie einen gesellschaftlichen Konsens darüber gibt, was angemessenes Verhalten ist. Menschen, die diesen Konsens ignorieren, tun das meistens bewusst.“ Seite 109

Gestaltung & Illustrationen (+/-)

Nicht ganz so gut finde ich, dass die Gestaltung doch etwas klischeehaft rosa / pink ist – aber wenn so das Zielpublikum erreicht werden kann – bitte! Prinzipiell gefällt mir das Design, die verschnörkelten Überschriften und comicartigen Illustrationen sind gelungen, lösen bei mir aber auch keine Begeisterungsstürme aus. Etwas mehr Bilder und mehr Abwechslung hätten dem Buch wahrscheinlich gut getan.

Geschlechterrollen & Vielfältigkeit (♥)

Da es sich hier um ein feministisches Buch handelt, das Mädchen ermutigt, sie selbst zu sein und sich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren, gibt es in dieser Kategorie natürlich ein Herz!

Mein Fazit

„How to be a girl“ ist ein wichtiges Buch, das bei den Jugendlichen von heute (der Gesellschaft von morgen!) ansetzt und diese für Sexismus, veraltete gesellschaftliche Erwartungen und schädliche Geschlechterstereotypen sensibilisiert. Julia Korbik schreibt mutig und informativ gegen Misogynie, Slut shaming und Gewalt gegen Frauen an, widerlegt verbreitete Mythen, ermuntert Mädchen, sie selbst zu sein und sich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren, und kämpft mit ihrem Buch für mehr Toleranz, Selbstbestimmung, Freiheit und eine glücklichere, gleichberechtigte Zukunft. Lediglich auf die Zielgruppe hätte die Autorin etwas mehr eingehen (teilweise wirken die Ausführungen zu trocken oder belehrend) und bei ihren Ratschlägen in manchen Kapiteln mehr in die Tiefe gehen können. Ansonsten handelt es sich hier aber um ein rundum gelungenes Buch, das ich euch und euren Töchtern, Nichten, Cousinen und Schwestern nur ans Herz legen kann.

Empfehlung: Besonders als Geschenk für Mädchen sehr zu empfehlen!

Bewertung

Idee: 5 Sterne ♥
Inhalt: 5 Sterne ♥
Struktur: 4 Sterne
Ausführung: 4 Sterne
Schreibstil: 3,5 Sterne
Illustrationen: 3 Sterne
Tiefe: 3,5 Sterne
Rollenbilder: ♥

Insgesamt:

❀❀❀❀ Lilien

Dieses Buch erhält von mir vier zufriedene Lilien!