Rezension

Geschichte einer schlimmen Kindheit

Das Mädchen - Angelika Klüssendorf

Das Mädchen
von Angelika Klüssendorf

Bewertet mit 4 Sternen

"Das Mädchen" von Angelika Klüssendorf erzählt von der schwierigen Jugend eines namenlosen Mädchens in der DDR der siebziger Jahren. Zu Beginn des Romans ist sie zwölf und lebt mir ihrem sechjährigen Bruder Alex unter ärmlichen Verhältnissen bei ihrer unberechenbaren, gewalttätigen Mutter, die die Kinder schlägt, einsperrt und vernachlässigt. Ihren Vater lernt sie gerade erst kennen: Ein Säufer, der die Mutter schon bald darauf erneut verlässt. Gelegentlich reißt sie aus, lebt mal bei ihrem Vater, dann im Heim, kehrt aber auch immer wieder zu ihrer Mutter und ihrem Bruder zurück.

Im Klappentext wird der Stil der Autorin beschrieben mit einer "klaren, knappen, präzisen Prosa, großer Lakonie und trockenem Humor". Dem kann ich größtenteils zustimmen, auch wenn ich den trockenen Humor, den ich sonst sehr schätze, hier nicht finden konnte. Die Lakonie ist dagegen sehr stark. Der Text wirkt gänzliche emotionslos, teilnahmslos und abgestumpft und passt damit sehr gut zu der Geschichte des Mädchens, die ihr schweres Schicksal meist ohne Gefühle hinnimmt und zu einer starken, aber auch fragwürdigen Persönlichkeit heranwächst. Sie vertraut niemandem wirklich, klaut und lügt und wird zum Schluss vom Opfer zur Täterin, die andere moppt und schikaniert.
So schlägt sie sich durchs Leben, nimmt sich was sie braucht und am Ende, mit 17, ist ihr die Befreiung aus ihrem alten Leben gelungen - doch die Perspektivlosigkeit bleibt.

Wer aber ansonsten fürchtet, hier einen klassischen DDR-Roman vor sich zu haben, und denkt "alles schon gelesen, alles schon gehört", der sei wenigstens zum Teil beruhigt. Neu oder innovativ wirkt die Geschichte wirklich nicht, aber die DDR taucht meiner Meinung nach nur am Rande auf, in sehr geringen Dosen, ohne bekannte Klischees breitzutreten. In erster Linie ist das hier keine DDR-Geschichte, sondern die Geschichte einer schweren Kindheit, die mit kleinen Änderungen überall und zu jeder Zeit passiert sein könnte, wenn nur genug Menschen die Augen verschließen.
Ganz frei von Klischees bleibt das Buch aber leider nicht. Bei mir persönlich löst die Verbildlichung von Befreiung durch fliegende Vögelchen jedenfalls höchsten ein Augenrollen als Ausdruck von Kitschigkeit und Ideenlosigkeit aus, aber sicher keine Begeisterungssprünge. Verzeihlich ist dies aber im Gesamtbild allemal.

Auch das Cover spricht mich - obwohl es zum Inhalt schon passend ist - so wenig an, wie es selten vorkommt. Beim einfachen Stöbern, ohne das Zutun der Buchpreis-Nominierungen, wäre ich auf dieses Buch wahrscheinlich nicht aufmerksam geworden.
Das wäre schade gewesen, denn gerade durch den abgestumpften Stil dieses Romans wird die Geschichte um so bedrückender und man hat noch lange, nachdem man die gerade einmal rund 180 Seiten zu Ende gelesen hat, etwas zum Nachdenken. Ich hätte also ein sehr lesenswertes Buch verpasst.