Rezension

Geschichte trifft Fiktion trifft Humor - TOP!

Geschichte machen - Stephen Fry

Geschichte machen
von Stephen Fry

Bewertet mit 4.5 Sternen

"...ein fulminanter Lesespaß." oder "Irrsinn, erzählt mit der Leichtigkeit eines Popsongs." (Stern) - so und ähnlich liest man die Kurzbeschreibungen zu diesem Roman. Ich allerdings kann nicht verstehen, dass dieses doch sehr ernsthafte Buch so dermaßen als Klamauk abgetan wird. Es mag den einen oder anderen gar abschrecken und würde so manchen vom Lesen dieses tollen Buches abhalten, was ich extrem schade fände.

Die zentrale Frage, die der Autor Stephen Fry stellt: wie wäre der Lauf der Geschichte ohne Adolf Hitler gewesen? Wirklich besser? Fry sucht nach Antworten und "erfindet" seine eigene. Unter Berücksichtigung der damaligen, sehr angespannten gesellschaftlichen und politischen Situation ist natürlich der Schluß naheliegend, dass der Holocaust nicht nur von einer einzelnen Person abhing. Und genau da setzt Fry an. Ohne die Person Hitler herunterzuspielen oder gar lächerlich zu machen (denn das war sie nun leider wirklich nicht). Es gab zahlreiche einflußreiche Menschen mit demselben, grausamen Gedankengut...

Die Story: Michael D. Young, der liebenswerte, etwas durchgeknallte Geschichtsdoktorand, will gemeinsam mit dem alten Physikprofessor Leo Zuckermann eine neue, bessere "Geschichte machen", wobei es insbesondere für Leo noch ein ganz persönliches Anliegen ist, den Holocaust ungeschehen zu machen. Mithilfe eines speziellen Wunderwerks der Technik klappt es dann auch, die Geschichte zu beeinflussen. Was dann folgt, ist eine Reihe ungeheuerlicher Ereignisse, doch mehr möchte ich an dieser Stelle nicht verraten ;)

Diese "Rahmenhandlung" ist - im Gegensatz zu den geschichtlichen Passagen - durchaus amüsant. Wunderbar geschrieben, mit tollen Charakteren, reißt sie den Leser sofort mit. Ab der vollzogenen Veränderung der Geschichte findet sich der Hauptprotagonist Michael in einer völlig anderen Gegenwart wieder. Hier wird es von Seite zu Seite spannender & fesselnder, denn erst nach und nach findet Michael sich zurecht und es kommen unglaubliche Erkenntnisse ans Licht. Skurrile Situationen mit seinen Mitmenschen sind dabei natürlich nicht ausgeschlossen. Nebenbei entwickelt sich eine nette romantische Geschichte, mit der ich eigentlich überhaupt nicht gerechnet hatte, die aber keineswegs stört - im Gegenteil. Es paßt alles schön zusammen.

Nicht ganz schlüssig für mich war jedoch, ob auch Leo Zuckermann "bewußt" diesen "Sprung" in die parallele Welt erlebt. Die beiden finden sich zwar wieder, aber mir wird nicht klar, ob sie sich gegenseitig definitiv erkennen. Das wäre ein kleines logisches Problemchen, mit dem ich aber leben kann.

Fazit: Mich hat dieser bemerkenswerte Roman sehr beeindruckt. Fiktion, gepaart mit einer spannenden Story, philosophischen Ausflügen und fundierten geschichtlichen Einblicken - diese Kombination liest sich großartig! Stephen Frys Humor, der in erster Linie in der "Rahmenhandlung" platziert ist, ist wunderbar und durchaus auch mal frech - sehr "british" ;) Für mich ein in erster Linie sehr ernsthafter und äußerst interessanter Roman, der aber auch mit Humor punkten kann. Klare Leseempfehlung und Favoritenstatus!