Rezension

Gott und wir allein richten

Die rechte Hand Gottes - Michel Folco

Die rechte Hand Gottes
von Michel Folco

Bewertet mit 5 Sternen

»Wenn es das vorrangige Ziel einer Hinrichtung war, zu töten, um vor Augen zu führen, dass man nicht töten soll, dann mußte der Anblick dieses Schauspiels abschreckend sein; daher war das Schafott ein unentbehrlicher Bestandteil, wenn man wollte, daß der größte Teil der Zuschauer aus diesem abschreckenden Beispiel eine Lehre zog.«

Bellerocaille, ein kleines Städtchen in Südfrankreich im August 1683. Hinrichtungen gehören ganz selbstverständlich zur Rechtsordnung, niemand zweifelt daran, dass die Todesstrafe Gottes Wille ist und zudem ein hervorragendes Mittel der Abschreckung darstellt. Daher ist auch klar, dass dieser Koch, der auf ganz abscheuliche Weise ein Baby und seine Amme tötete, auf ebenso furchtbare Weise ins Jenseits gebracht werden muss. Die Frage ist nur, wer Gottes Willen vollstrecken soll, denn Bellerocaille verfügt zurzeit über keinen Henker. Ein Problem, das schwer zu lösen ist, denn…

» Wenn ihn auch alle sterben sehen wollen, so will doch niemand etwas damit zu tun haben, weder aus der Nähe noch aus der Ferne.«

 

So wird dem jungen Justinien, der derzeit wegen einer Kombination aus kleineren Vergehen und Unbeherrschtheit im Kerker schmort, ein Angebot gemacht, dass er nicht ablehnen kann. 20 Jahre Frondienst auf einer Galeere oder…

»Ich habe vor allem Angst, daß ich nicht den Mut haben werde. Ich kann mir noch so oft sagen, daß sein Verbrechen schrecklich war und er die Hinrichtung verdient hat, aber es will mir einfach nicht gelingen, wirklich wütend auf ihn zu sein. Er hat mir nichts getan, dieser Koch, also ihn einfach so zu schlagen, ganz kaltblütig…« »Du mußt einfach an jemanden denken, der dir verhaßt ist. … In diesem Fall, wenn es soweit ist, wird Gott dich lenken.« »Gott wird mich vielleicht lenken, aber ich muß dann zuschlagen, und nicht Er.«

Mit dem Rädern des Kochs beginnt Justinien sein neues Leben als „rechte Hand Gottes“. Das Buch begleitet ihn eine ganze Weile, erzählt von seinen Ängsten und Skrupeln, von der Erfahrung, einerseits den Willen des Volks zu vollziehen und andererseits genau aus diesem Grund aus der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden.

 

Der zweite Teil des Buchs spielt dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Justinien Pibrac, der Scharfrichter von Bellerocaille, ist zum Begründer der ältesten und bemerkenswertesten Henkerdynastie geworden. Von Generation zu Generation wurde das Amt „weitervererbt“, wurden die Söhne frühzeitig in der Familientradition unterwiesen. Hippolyte Pibrac, oder „Der Siebte“, wie er genannt wird, wurde vor 30 Jahren unfreiwillig in den Ruhestand versetzt, da nur noch der Scharfrichter der Hauptstadt vollstrecken darf. Ein unerträglicher Zustand für Hippolyte, der inständig hofft, dass dieses Dekret bald wieder aufgehoben wird. Sein Sohn Léon hingegen hat nicht im Geringsten den Wunsch, „Der Achte“ zu werden. Als erster aus der Familie hat er sich mit einem Mädchen vermählt, das nicht aus einer anderen Scharfrichterfamilie kommt und versucht nun, sich in die städtische Gemeinschaft einzufügen.

 

Meine Güte, was hatte ich einen Spaß an diesem Buch! Gut, jetzt mag man mir unterstellen, dass ich einen Hang zum Makabren hätte, aber ich finde diese Geschichte ungemein spannend. Heute verurteilen wir natürlich – und zu Recht! – die Todesstrafe und blicken mit Abscheu auf grausame Hinrichtungsarten wie das Rädern, aber für jemanden, der im 17. Jahrhundert lebte, gehörten diese Dinge nun mal zum ganz normalen Alltag. Besonders interessant ist dabei, dass man diese Strafen befürwortete, ihrem Vollzug mit großem Vergnügen beiwohnte und gleichzeitig den Vollstrecker verachtete. Ein Verhalten, das sich übrigens auch zu Zeiten des „Siebten“ nicht geändert hatte.

 

Das Buch bietet einen guten Überblick, ist an manchen Stellen grausig, an anderen sehr unterhaltsam. Übrigens wird keineswegs nur Mitgefühl mit dem aus der Gesellschaft ausgeschlossenen Scharfrichter geweckt, im Gegenteil wird auch deutlich, welche Privilegien und Vorteile zu diesem Stand gehörten. Zu meiner eigenen Überraschung stellte ich fest, dass mir Hippolyte ungeheuer sympathisch war, auch und gerade dann, wenn er sich so benahm, wie man es von ihm erwartete. Die 350 Seiten lasen sich viel zu schnell weg, ich hätte gerne noch länger am Leben dieser ungewöhnlichen Familie teilgenommen.

 

Fazit: Toller historischer Roman mit schwarzem Humor. Informativ und gleichzeitig sehr unterhaltsam!

 

Den Titel der Rezi habe ich mir übrigens aus dem Familienwappen der Pibracs ausgeliehen. Und als Schlusszitat habe ich noch einen kleinen Einblick in die Ausbildung eines angehenden Henkers…

»Es ist sehr wichtig, daß die beiden Holme genau senkrecht stehen, sonst gleitet das Fallbeil nicht richtig und schneidet schlecht. Dann mußt du den Kopf mit dem Messer abtrennen. Das ist eine schmutzige Arbeit und macht bei den Zuschauern keinen guten Eindruck.«

Kommentare

Jendrik Spehl kommentierte am 24. April 2015 um 12:16

Das klingt sehr interessant. Danke für diese Rezension ich werdee mir das Buch mal näher anschauen.