Rezension

Graubraun durchzogen von Weiß

Der Empfänger, 1 Audio-CD, MP3 - Ulla Lenze

Der Empfänger, 1 Audio-CD, MP3
von Ulla Lenze

Bewertet mit 3.5 Sternen

Das Buch hat den zweiten Weltkrieg aus einer Perspektive beleuchtet, die für mich bisher komplett im Dunkeln lag.

Das Buchcover ist weder knallig, noch bunt, noch sticht es in einer anderen Form besonders hervor – es ist nur das graubraune Bild einer Person, umrahmt und durch teilt von Weiß. Eher schlicht und dezent. Trotzdem bleibt mein Blick immer wieder daran hängen. Es liegt an dem Effekt, der über das Bild gelegt wurde – zumindest vermute ich das. Wer immer das Cover entworfen hat, ist mit einem Pinsel über das Bild gefahren und hat es zum Teil unscharf verwischen lassen – auch genau über dem Gesicht der Person auf dem Bild. Das ist etwas, womit ich mich scheinbar nicht abfinden kann: Eine Person zu sehen, aber ihr Gesicht nicht erkennen zu können. Deswegen lässt mir das Cover keine Ruhe. Ich scanne es ab, immer und immer wieder, finde aber nichts, woran sich mein Blick festhalten kann.

Genauso geht es mir auch mit der Geschichte – vor allem zu Beginn. Ich finde mich nur schwer zurecht, habe keine Führung, die mich sicher durch die Erzählung leitet, sondern irre stellenweise desorientiert von einer Szene zur nächsten Idee, zur nächsten Spekulation, in ein neues Jahrzehnt. Vielleicht liegt es daran, dass ich das Buch nur höre und die Kapitelstruktur nicht vor mir sehe. So verschwimmen für mich Orte, Zeiten und Personen zu einem verwischten Ganzen.

Besonders die Personen in diesem Buch sind für mich ein schwieriges Thema. Denn ganz ehrlich: ich mag niemanden in dem Buch besonders. Auch nicht den Protagonisten Joseph Klein. Er ist mir unsympathisch. Sehr häufig kann ich seine Entscheidungen nicht nachvollziehen. Er ist nicht der Held, den man sich in einer solchen Erzählung wünscht. Allerdings ist die Geschichte auch nur deshalb erzählenswert, weil er nicht der eindeutige Held ist, der genau weiß, wo er die Grenze zwischen Gut und Böse ziehen muss. Er wird dadurch menschlicher, undurchsichtiger, schwer zu kategorisieren. Ich habe ein Interview mit der Autorin gesehen. Selbst sie sagte, dass sie Joseph Klein – ich wusste nicht, dass sie in dem Buch die wahre Geschichte ihres Großonkels erzählt, finde es aber einen sehr spannenden Fakt – nicht einordnen kann. Das beruhigt mich etwas. Immerhin erklärt das, warum ich nicht schlau aus ihm werde.

Die Stimmung der Geschichte vermittelt sich mir jedoch ganz deutlich. Auch hier spiegelt das Buchcover wieder sehr gut den Inhalt: trübes Graubraun, durchzogen von Weiß. Die Geschichte spielt vor, während und nach dem zweiten Weltkrieg – klar, dass da keine fröhliche Stimmung herrscht. Die Atmosphäre wirkt bedrohlich, stellenweise undurchsichtig. Trotzdem bewegt sich der Protagonist darin mit einer paradoxen Naivität, als lebe er immer knapp an der Wirklichkeit vorbei.  Er ist ein Deutscher in Amerika. Vor dem Krieg ist das kein Problem, doch je mehr Deutschland zum Feind wird, desto mehr wird auch Joseph zum Feind. Noch dazu, weil er Hobbyfunker ist und damit für deutsche Spionage interessant. Er ist in Gefahr, findet nicht so recht einen Standpunkt zwischen den konträren Ideologien und lebt dennoch sein Leben.

Das Buch handelt also vom zweiten Weltkrieg, aber nicht so, wie man es von den allermeisten Büchern über den Krieg kennt. „Der Empfänger“ nähert sich der Zeit und den Konflikten aus einem anderen Blickwinkel: Zum einen wird darin der Nationalsozialismus in Amerika thematisiert, also die Bewegungen und Anhänger, die Hitler in den gegnerischen USA für seine Ideologie begeistern konnte und diejenigen deutschen Einwanderer, die ihrer nationalsozialistischen Heimat aus der Ferne dienen wollen. Darüber habe ich mir bisher noch nie Gedanken gemacht – auch noch nie davon gelesen oder gehört. Zum anderen ist die Geschichte viel persönlicher. Sie wird mitten aus dem Leben und der Gesellschaft heraus erzählt und lässt den Leser als Teil davon eigene Schlüsse ziehen. Und egal ob Joseph Klein mir nun sympathisch ist oder nicht: ich konnte nachvollziehen, wie er schleichend in Machenschaften und Konflikte verwickelt werden konnte, in die er eigentlich nicht hineingeraten wollte; wie sich zwischen den verschiedenen Personen eine schwer zu verstehende Dynamik entwickelt. Ich glaube das ist authentischer und spiegelt die damalige Mentalität besser wieder, als so viele andere Kriegsbücher, die sich schließlich zu action-lastigen Kampfszenen hinreißen lassen, mit denen den Leser nur wenig vermittelt werden kann.

An dieser Stelle muss ich jedoch auch Kritik äußern: die Handlung nimmt kaum einmal an Fahrt auf, fließt gemächlich, aber stetig dahin. Dabei schafft sie es trotz allem Fragen aufzuwerfen und den Leser auf Antworten hoffen zu lassen. Doch das große Finale bleibt aus. Leider. Irgendwie ist das Ende einfach verpufft, alle Konflikte haben sich in Luft aufgelöst, Fragen wurden mit Vielleicht beantwortet. Ich bin enttäuscht, denn ich hatte mir ehrlich gesagt mehr erhofft, als das was ich letzten Endes bekam. So endete das Buch, wie es mit dem Cover begann: graubraun, mit einigen Streifen unbeantwortetem Weiß.