Rezension

Grausam aber man kann nicht aufhören

Tu dir weh - Ilaria Palomba

Tu dir weh
von Ilaria Palomba

"Marco, du bist der Meister in diesem Spiel, wer soll ich deiner Meinung nach sein? Ich bin unsicher, das ist alles." [. . .] "Du darfst keine Angst haben, dich zu verlieren, dich auszuprobieren.." "Ich hab' mich schon verloren", unterbricht sie ihn. -S. 294

Inhalt:
Stella ist 19 und Philosophiestudentin. Eines Nachts, als sie betrunken mit ihrem Freund auf einer Party ist, begegnet sie Marco und schläft kurzerhand mit ihm.
Marco ist älter, erfahrener, kennt keinerlei Grenzen und genau damit fasziniert er Stella so. Schnell gerät Stella in einen Strudel von Lust, Schmerz und Drogen und bemerkt nicht, dass alles miteinander verschwimmt.

Meine Meinung:
Ich wusste nicht, was ich erwarten sollte, als ich begonnen habe "Tu dir weh" von der italienischen Autorin Ilaria Palomba zu lesen. Aber das, was ich dann im Endeffekt bekommen habe, hat mich schockiert, abgestoßen, aber gleichzeitig doch so fasziniert und gefesselt. Lange nachdem ich das Buch beendet habe, saß ich also vor meinem Laptop und wusste nicht, wie ich das Buch denn jetzt bewerten soll. Denn im Endeffekt habe ich noch nie ein Buch gelesen, dass ich gleichzeitig so gut und schlecht fand.
Die Autorin beschreibt die sexuelle Abhängigkeit einer jungen Frau, wie sie wohl von keinem von uns nachvollziehbar ist. Man möchte die junge Stella, die so ohne weiteres in die Drogenszene abrutscht am liebsten wachrütteln, da sie eigentlich die ganze Zeit nut naiv und dumm handelt. Sie begibt sich selbst andauernd in Situationen, die jegliche Grenzen des normalen überschreiten.
Aber erst einmal zum Schreibstil. Dieser war am Anfang der gewöhnungsbedürftig, da die Autorin das Geschehen in sehr kurzen und abgehackten Sätzen beschreibt, dass das Geschehen oftmals sprunghaft wirkt. Aber irgendwie passt genau dies zu Geschichte. Denn die Protagonistin springt auch von einem Trip und Sexpartner zum nächsten.
Es gibt sehr viele Ausdrücke, die nicht so schön zu lesen sind. Eigentlich stören mich solche in Büchern nicht unbedingt, aber hier wirkten sie oftmals sehr willkürlich und überflüssig.
Wenn Stella zum Beispiel beschreibt, dass jemand den Blick eines H*rensohns hat. Da frage ich mich persönlich, wie guckt denn so jemand? Der Sinn vieler solcher Ausdrücke hat sich mir während des Lesens einfach nicht erschlossen.

Stella ist mehr als unsympathisch als Protagonistin. Sie ist egoistisch, gleichgültig und benutzt die Menschen in ihrem Umfeld zu ihrem eigenen Vorteil und ohne sich über die Konsequenzen Gedanken zu machen. Wodurch sie Marco eigentlich in nichts nachsteht.
Sie rutscht einfach so plötzlich in die Drogenszene ab, doch genau das ging mir zu glatt. 19 Jahre lang hat sie nicht einmal Drogen angerührt, warum ausgerechnet jetzt und ohne einmal auch nur Zweifel oder Gedanken der Sorge zu haben. Das war mir ein wenig zu unrealistisch.

Wer von "Tu dir weh" eine Liebesgeschichte erwartet, ist hiermit sicherlich falsch bedient, denn Romantik findet leider keinen Platz in der verstörenden Geschichte rund um Stella. Denn die Beziehung von ihr und Marco ist vor allem eines: Krank, abartig und krass.
Erotische Szenen gibt es zu Hauf, doch diese verfehlen leider auch ihre Wirkung, da diesen Szenen immer irgendwie etwas Abartiges und Beklemmendes anhaftet.
Stella hat wechselnde Sexpartner und lässt sich des Öfteren benutzen, nur weil sie irgendeiner kranken Vorstellung hinterherjagt, dass sie damit die Macht über Marco hätte.
Und noch so ein Punkt, der mich einfach nicht überzeugt hat: Die Charaktere.
Irgendwie waren sie allesamt überspitzt, es gibt nicht auch nur einen normalen Charakter in der Geschichte, der nicht vollkommen durchgedreht ist und irgendwie haben ja auch alle Frauen eine lesbische Ader und wollen mit Stella schlafen. Naja, außer ihre Mutter vielleicht, aber die hat ja auch so schon genug Probleme.

"Tu dir weh" ist kein Buch, das gefallen will, sondern schockieren. Und das gelingt ihm ausnahmslos. Die Geschichte ist brutal, abstoßend, krank und schockierend. Ein Wort, das in der Leserunde zu dem Roman öfters gefallen ist und es ziemlich treffend beschreibt ist krass. Denn alles was in dem Buch passiert ist einfach nur krass, man kann es nicht nachvollziehen und möchte es am liebsten sofort aus der Hand legen. Genau das gelingt aber nicht. Ich habe noch nie ein Buch gelesen, das mich so abgestoßen aber auch gefesselt hat.
Die ganze Zeit möchte man verstehen, warum Stella so abhängig von dem Kerl ist, aber es gelingt einfach nicht.Nach wirklich schlimmen und extremen Erlebnissen, die sie nur wegen Marco erleben muss, dachte ich mir jedes Mal: Jetzt wacht sie endlich auf. Aber nein. Ich konnte mir nicht vorstellen, warum sie immer wieder dieselben Fehler begeht. In ihren Gedanken möchte sie ihn am liebsten umbringen, nur um ihn dann im nächsten Satz anzuhimmeln und wie ein verliebtes kleines Mädchen hinterher zu rennen. Das war mir ein einfach zu extremer Unterschied und nicht nachvollziehbar.

Fazit:
"Tu dir weh" ist ein schlimmes Buch, das den Leser deprimiert, aufgeregt und auch ein wenig wütend zurücklässt. Es ist keine leichte Kost für zwischendurch, sondern nicht leicht zu verdauen. Die Protagonistin und eigentlich jeder nur denkbare Charakter war unsympathisch und gestört und doch, ich konnte es nicht aus der Hand legen. Die Punktevergabe fiel mir so schwer, wie noch nie. Wie viele Punkte gebe ich einem Buch, das mir eigentlich nicht gefallen hat, das mich aber doch wie selten ein anderes Buch fesselt?
Dieses Buch ist wie ein Autounfall, es ist grausam, aber man kann einfach nicht wegschauen.
3,5 Punkte.