Rezension

Griechische Zeitgeschichte

Athen, Paradiesstraße - Sofka Zinovieff

Athen, Paradiesstraße
von Sofka Zinovieff

Bewertet mit 4.5 Sternen

Der Mittelpunkt diese Romans ist, wie der Titel schon verrät, die Athener Paradiesstraße. Hier wachsen die Schwestern Alexandra und Antigone zusammen mit ihrem Bruder Marko auf. Die Schwestern sind sehr verschieden und sehr verschieden ist auch ihre Haltung während des Zweiten Weltkriegs und der Besatzung durch die Deutschen. Während Alexandra den Kollaborateur Spiros heiratet, geht Antigone in den Widerstand, in die Berge. Die beiden Schwestern verdeutlichen den Riss, der damals quer durch die Gesellschaft verlief: kollaborieren oder Widerstand leisten. Ein Riss, der auch nach Kriegsende, nach der deutschen Niederlage nicht verheilte. Denn auch danach wurden die zumeist kommunistischen Widerständler von rechtsgerichteten Kreisen im Kampf um die Macht in Griechenland verfolgt und bekämpft. Auch die Briten spielten dabei eine ambivalente, zumeist unrühmliche Rolle. Antigone bekommt das zu spüren, ihr langjähriger englischer Freund Johnny scheint eine Rolle bei der Aushebung einer Untergrundversammlung gespielt zu haben, bei der ihr Bruder Markos ums Leben kommt. Das sich alles ganz anders zugetragen hat, erfährt sie erst viel später. Antigone flieht, wird gefasst, schwanger im Gefängnis, entkommt sie nur knapp dem Todesurteil, kann fliehen und geht nach Moskau ins Exil. Ihren kleinen Sohn Nikitas lässt sie bei ihrer Schwester, kommt auch nach Ende der Militärdiktatur 1974 nicht zurück, bricht jeden Kontakt ab. Dass auch dieses Verlassen des eigenen Kindes andere Hintergründe hatte, enthüllt sich ebenfalls erst Jahrzehnte später. Und zwar nach dem Unfalltod Nikitas, zu dessen Beerdigung Antigone erstmals wieder nach Griechenland zurückkehrt.

Siebzig Jahre leidvolle griechische Geschichte werden im Roman geschickt in eine Familiengeschichte verpackt. Der Widerstand gegen die Deutschen der Großelterngeneration wiederholt sich in Nikitas Generation beim Militärputsch und der nachfolgender Militärdiktatur 1967-1974 und in neuerer Zeit bei den Studentenprotesten, die Nikitas Kinder unterstützen. Der Leser erfährt viel über die jüngere griechische Geschichte, den Riss der lange Zeit durch die Gesellschaft ging und immer noch geht und erhält ein tieferes Verständnis über die gesellschaftliche Realität im Land. Das geschieht, wie gesagt, in Form einer packenden Familiengeschichte, die abwechselnd aus der Sicht Antigones und Nikitas Witwe, die die Hintergründe des Unfalltodes ihres Mannes herauszufinden versucht, erzählt wird. Zinovieff erzählt mit Liebe zu Details, mit viel Atmosphäre und Lokalkolorit und versteht es, dem Leser die griechische Mentalität, oft auch mit einem Augenzwinkern, näherzubringen. Dadurch bleibt das Buch immer kurzweilig, es gelingen der Autorin viele schöne, oft auch traurige, verzweifelte Momentaufnahmen aus siebzig Jahren griechischer Familiengeschichte.