Rezension

Großartige Erzählung im Stile der russischen Klassiker - und dabei völlig verrückt!

Der Schneesturm - Vladimir Sorokin

Der Schneesturm
von Vladimir Sorokin

„Die russische Literatur ist eine Kirche und ich betrete diese Kirche mit einer Axt.“

So beschrieb sich der umstrittene russische Schriftsteller Vladimir Sorokin selbst einmal in einem Interview.

Seine Bücher ecken an, in ihnen vermischen sich unterschiedliche Genres wie Science Fiction, Fantasy und Satire. Drastische Gewaltdarstellungen sind dabei nicht selten. Wenn man Wikipedia glauben darf, wurden seine Bücher von regierungstreuen Jugendorganisationen symbolisch das Klo runtergespült oder gar verbrannt.

Mit dem Science-Fiction-Albtraum „Der Schneesturm“ verbeugt sich Sorokin eindeutig vor den russischen Schriftstellern des 19. Jahrhunderts, vorneweg vor Tolstojs „Herr und Knecht“.

Die Erzählung spielt in der Zukunft, die aber wie Russlands Vergangenheit anmutet.

Eigentlich ist so eine rückwärtsgewandte Entwicklung nur folgerichtig, wenn man an die bisweilen repressiv anmutende Politik Putins denkt.

Putin sehnt sich nach der Größe der sowjetischen Vergangenheit. Sorokin katapultiert Russland dagegen noch weiter zurück – und zwar in eine Science-Fiction-Version des 19. Jahrhunderts. Die technologischen Fortschritte erscheinen merkwürdig antiquiert und erinnern eher an das Inventar von Märchen.

Da gibt es Maschinen um Lebewesen zu vergrößern oder zu verkleinern, es gibt Radios mit „lebendigen Bildern“ oder aber Filzstoff, der sich in Sekundenschnelle in fertige Zelte verwandeln kann. Drogen, die Albträume erzeugen, sind in dieser Zukunftsgesellschaft schwer angesagt.

In „Der Schneesturm“ wird die Geschichte eines Arztes erzählt, der Impfstoff in eine entlegene Region Russlands bringen soll, die von einer merkwürdigen Krankheit heimgesucht wurde: die Infizierten verwandeln sich in Zombies.

Es herrscht ein unbarmherziger Schneesturm. Der Landarzt heuert notgedrungen einen einfältigen Kutscher an, der ihn durch den Weltuntergang aus Eis und Schnee bringen soll. Ihre Reise nimmt dabei Formen einer surrealen Fahrt durch einen Fiebertraum an.

Dieses Buch ist völlig verrückt. Manchmal glaubt man, einem LSD-Trip zu folgen.

Wer klassische russische Literatur mag, sollte unbedingt zugreifen! Tolstoj und Gogol, aber auch die Strugatzki-Brüder sind in diesem Roman allgegenwärtig – allerdings in einer abgedrehten Punkversion. Sorokin war mal wieder mit seiner Axt unterwegs, diesmal ist er aber vergleichsweise sanft mir ihr umgegangen. Dieses Buch ist trotz aller grotesken Einfälle eher ruhig erzählt und wird von einer eiskalten Atmosphäre geprägt.

Sorokin wird vermutlich nie ganz an seine großen Vorbilder herankommen (aber welcher Autor kann sich schon mit diesen Giganten messen?). Vermutlich will er das auch gar nicht.

Aber es ist schön, dass es in Russland wieder einen Autoren gibt, der dieses spezielle Feeling erzeugen kann, das den großen Erzählern des 19. Jahrhunderts eigen ist.