Rezension

großartige Revue zweier Leben

Besser allein als in schlechter Gesellschaft -

Besser allein als in schlechter Gesellschaft
von Adriana Altaras

Bewertet mit 5 Sternen

Dies ist die Geschichte der 60jährigen Adriana und ihrer hundertjährigen Tante Jelka, die einer jüdischen Familie entstammen und ihre Wurzeln im ehemaligen Jugoslawien haben. Die Familie hatte in Zagreb eine florierende Glasmanufaktur, wurde 1941 enteignet, vertrieben, kam ins KZ. All das hat die Tante erlebt und überlebt.

Im Jahr 2020 herrscht in Italien, wo die Tante seit der Flucht aus dem Lager lebt, die Coronapandemie und verhagelt ihren bevorstehenden 100. Geburtstag, den sie im Altersheim feiern will. Insbesondere ihre innig geliebte Nichte Adriana, die in Berlin lebt, kann wegen der Kontaktverbote nicht einreisen.

Dieser Roman trägt starke autobiographische Züge und erzählt abwechselnd aus der Perspektive der Nichte und der Tante, jeweils in der Ich-Form. Die beiden kommunizieren per Telephon und skype und erinnern sich, jede für sich, an ihr ereignisreiches, teils gemeinsames Leben. Die Tante, die die Nichte bis zu deren 4. Lebensjahr in Italien aufzog, ist ihr wie einer eigenen Tochter eng verbunden. Auch die Nichte hat mit ihren 60 Jahren schon viel erlebt, hat zwei erwachsene Söhne, ist geschieden, beruflich erfolgreich und kann auf viele glückliche Erinnerungen mit ihrer Tante zurückblicken.

Sowohl das Leben von Jelka als auch das ihrer Nichte entfaltet sich bei der Lektüre der Wiedergabe derTelefonate und derer Gedanken und Erinnerungen so spannend und ist so melancholisch und humorvoll erzählt, dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte. Hier wird nichts beschönigt: Jelka, die so viel mitgemacht hat, hat ihren Lebensmut und ihre Lebensfreude trotz allem bis ins hohe Alte nicht verloren, betrachtet ihr Leben rückblickend jedoch ehrlich und reflektiert die vielen Abzweigungen, die sie im Leben nicht genommen hat. Was wäre etwa gewesen, wenn sie mit ihrer großen Liebe nach Australien ausgewandert wäre und so Vertreibung und Lager vermieden hätte ? Der Vater hatte die Auswanderung verboten, sie wurde in der Glasmanufaktur gebraucht und sie hatte nicht den Mut, sich zu widersetzen. Sie mußte erfahren, dass sie selbst nicht "Meister" ihres eigenen Lebens war.

Die Geschichte hangelt sich, beginnend mit dem Geburtsjahr Jelkas 1920, durch die Erinnerungen der Protagonistinnen und der Leser wird Zeuge der außergewöhnlich warmherzigen Tante/Nichte-Beziehung. Es ist aber nicht nur ein melancholischer Lebensrückblick, auch die Gegenwart, u. a. die Coronapandemie, die Widrigkeiten des Älterwerdens ( Adriana ) und des Altseins ( Jelka ) kommen zur Sprache.

Besonders gefallen haben mir die Lebensweisheiten Jelkas, von denen auch eine titelgebend ist. Aus ihnen, wie aus dem ganzen Roman, sprechen Lebensklugheit und Trost. So konstatiert Jelka: " Vielleicht habe ich das Leben nicht gemeistert. Aber gelebt habe ich es." Ich möchte ihr nachrufen: Du hast dein Leben vielleicht nicht "gemeistert", aber hingekriegt hast Du es großartig, trotz aller Widerfahrnisse ! Und allen Lesern rufe ich zu: Vergeßt die Glücksratgeberbücher, kündigt euren Therapeuten und lest lieber Romane wie diesen hier !

5 Sterne und eine große Leseempfehlung.