Rezension

Große Aufregung um ein vermisstes aus London evakuiertes Kind 1939

Dorf unter Verdacht -

Dorf unter Verdacht
von Nicola Upson

Bewertet mit 4 Sternen

In einem Londoner Arbeiterviertel wird 1939 der Kassierer der Wohnungsmieten ermordet aufgefunden - erstochen mit einer Schneiderschere. Die Ermittlungen führt Archie Penrose aus, den wir als guten Freund der (realen) Autroin Josephine Tey kennen. Penrose, der nichts lieber hat als die Routine einer Mordermittlung, ist als Familienvater neuerdings sehr dünnhäutig, wenn es um Kinder geht. Als angesichts des drohenden Zweiten Weltkriegs die ersten Evakuierungstransporte aufs Land für Londoner Kinder organisiert werden, geht das Archie sehr nahe. Die Schulklassen und ihre Lehrer marschieren zur Abfahrt vom Bahnhof Liverpool Street durch genau die Straßen, an denen sein aktueller Tatort liegt.

Das kleine Polstead/Suffolk erwartet derweil 20 Kinder, auf die freiwillige Helfer sich akribisch vorbereitet haben. In Polstead trifft sich in ihrem ererbten Ferienhaus gerade Josephine Tey mit ihrer Gefährtin Marta. Die Freundinnen hatten sich fern von Schottland etwas Privatsphäre versprochen. An die Bahnfahrt anschließend kommen aus London unerwartet 80 Personen in zwei Doppeldeckerbussen; für diese Mütter und Kinder sind jedoch keine Namenslisten vorhanden. Spontan und rührend besorgt werden die zusätzlichen Kinder verteilt. Besonders für kinderlose Dorfbewohner ist das ein Abenteuer, denen man nicht unbedingt das Talent zutraut, traumatisierte Grundschulkinder zu versorgen. Im Durcheinander der Ankunft und des folgenden Dorffestes geht Annie verloren, die Enkelin der einheimischen Ladenbesitzerin, und kann auch durch eine groß angelegte Suchaktion nicht gefunden werden, die der inzwischen eingetroffene Archie Penrose leitet.

Nachdem sich das Rätsel um Annies Verschwinden aufgelöst hat, wird noch immer ein Kind vermisst – und in der harmlos wirkenden Idylle brodeln die Emotionen. Alte Konflikte brechen auf, nahezu jeder könnte verdächtig sein; und Sonderlinge haben Obsessionen zu verbergen, über die andere Sonderlinge offenbar bestens unterrichtet sind. All das verengt sich auf die Frage, wer im Dorf ein Kind entführen oder sogar töten könnte. Während in London eine Mutter sich heftige Vorwürfe macht, sie wäre als Mutter nicht gut genug, eskaliert in Polstead ein Problem mit dem 10jährigen Noah, der auf keinen Fall seine Schwester allein lassen will und zuvor in London offenbar Schlimmes erlebt haben muss. Marta ist derweil auf dem Weg nach Amerika, wo sie für Hitchcock arbeiten wird, während Josephine sich davon niederdrücken lässt, dass der Krieg sie um ihre Lebenszeit betrügt, besonders um die knappe Zeit mit Marta.

Fazit
Da mir Josephine Tey aus „Der letzte Zug nach Schottland“ bekannt war, bin ich spontan und problemlos in den 10. von bisher 11 erschienen Bänden mit ihr als Romanfigur eingestiegen. Die Spannung steigt durch die Vielzahl an Verdächtigen in der zweiten Hälfte des Romans rapide an, und den Auftritt der realen Autorin fand ich sehr ansprechend. Nicola Upson hat allerdings Probleme mit der realistischen Darstellung von Kindern und wirft etwas zu lässig mit Modernismen. Dass Kinder 1939 einen so forschen Ton anschlugen und die Wortwahl im Allgemeinen erscheint mir insgesamt für England zu lässig. Trotzdem werde ich nun den ersten Band anschließen …