Rezension

gruseliges Szenario

Rattentanz - Michael Tietz

Rattentanz
von Michael Tietz

Bewertet mit 5 Sternen

Ich habe schon mehrere Bücher darüber gelesen, wie die Menschheit durch Stromausfall wieder in die Steinzeit katapultiert wird und Plünderungen, das Gesetz des Stärkeren, Mord und Totschlag herrschen und einige Menschen versuchen, ihre Werte beizubehalten und dennoch zu überleben  (z.B. Blackout, the Stand). Dieses Buch ist mit seinen über 800 Seiten das zweitdickste. 

Sehr spannend, sehr erschütternd und sehr erschreckend. Die Menschen verrohen sehr schnell  und hätte man zu Coronazeiten den Kampf um Klopapier nicht miterlebt, würde man nicht glauben, dass die Menschen so schnell in puren Egoismus verfallen. Aber auch wenn das Buch die menschlichen Abgründe, den Schrecken, die Angst vor Vergewaltigung, Mord oder Verhungern und die Trauer um Kinder, Enkel, Familie und Freunde schildert, so ist es auch dennoch mit Humor geschrieben. Und es gibt immer wieder Hoffnung. Das Buch schreckt auch nicht davor zurück, zu zeigen, dass nicht nur böse Menschen die Oberhand gewinnen, sondern auch, wie Menschen mit Anstand und Moral in ihrer Verzweiflung im Kampf um´s Überleben töten, (fremde) Kinder zurücklassen oder zu Kannibalen werden. Alles in allem ein wahrer Pageturner und am Ende möchte man das Buch gar nicht weglegen, weil einem der Abschied von den Figuren, die man in ihrer schwersten Zeit begleitet hat, schwer fällt. 

Zur Handlung : Flugzeuge fallen vom Himmel und es gibt keine Möglichkeit, Rettungsdienste und Feuerwehr anzurufen, da alle Telefone tot sind. Nach und nach dämmert es den Menschen im kleinen Dorf Wellendingen, dass der Strom ausgefallen ist. Keiner weiß, wann er wieder da ist. Was tun mit all den Leichen vom Flugzeugabsturz auf dem Acker ? Sie raufen sich zusammen und versuchen eine Lösung zu finden, damit keine Seuchengefahr entsteht oder das Grundwasser vergiftet. Eva, eine Krankenschwester arbeitet in der nächstgrößeren Stadt und erlebt, wie auf der Intensivstation alles drunter und drüber geht. Durch viele Verletzte (Ampeln fallen aus etc.) herrscht Chaos und im Laufe der nächsten Tage sind auch die Notstromgeneratoren alle. Sie versucht so lange wie möglich die Stellung zu halten und dann zu ihrer kleinen Tochter nach Wellendingen zu gelangen. Dies wird u.a. durch marodierende Banden erschwert. Ihr Mann ist z.Z. auf Geschäftsreise in Schweden und erlebt dort, wie alles zusammenbricht. Keiner ahnt, dass der Strom weltweit ausgefallen ist und so hofft man zunächst auf Hilfe von außerhalb. Die Geschichte hat mehrere Haupthandlungsstränge : Die Dorfbewohner, Eva, ihr Mann und "die Bösen". Immer wieder erschreckend, wie schnell letztere die Oberhand haben und brutal und ungestraft rauben, morden und vergewaltigen.

Besonders beeindruckt hat mich, wie der Autor das Stimmenhören eines Schizophreniepatienten schildert. Da ich in der Psychiatrie arbeite finde ich das durchaus realistisch, denn es gibt Patienten, die das so beschreiben. Auch das Delirium ist treffend beschrieben, denn auch der Alkohol ist irgendwann alle oder geplündert. Ich mag auch die Art, wie er die Charaktere beschreibt und trotz nur weniger Worte tun sich Abgründe auf oder man ist sofort im Bilde. z.B. S. 19 " Aber man mußte ihr immer wieder sagen, was, wann und in welcher Reihenfolge zu erledigen war. Auch im Bett." oder S.33  " Im Gegensatz zum größten Teil seiner Umwelt war er zutiefst davon überzeugt, dass er das war, was gemeinhin als toller Hecht bezeichnet wurde."

Alles in allem ein gelungenes Buch, sehr erschreckend und traurig, aber es zeigt auch, was man mit Zusammenhalt und Rückbesinnung auf alte Werte erreichen kann.