Rezension

Gut, aber zu bemüht

Identitti -

Identitti
von Mithu M. Sanyal

Bewertet mit 3 Sternen

Nivedita, Tochter einer polnischen Mutter und eines indischen Vaters, schreibt auf ihrem Blog namens "Identitti" über - nunja - Identität. Seit einem Besuch bei ihrer Cousine Priti in der indischen Community Birminghams macht Nivedita sich zunehmend Gedanken über ihre eigene Identität und Zugehörigkeit - wurde sie dort schließlich von den anderen Kindern als 'Coconut' (außen braun, innen weiß) verspottet. Mittlerweile ist sie in ihren Mittzwanzigern, studiert in Düsseldorf Postcolonial Studies und hat in ihrer angesehenen Professorin Saraswati endlich ein selbstbewusstes Vorbild gefunden, welches ihr den Weg zur Selbstbekenntnis ebnet. Doch dann wird Saraswatis wahre Identität durch alte Fotos enttarnt - denn Niveditas Lieblingsprofessorin ist eigentlich weiß und heißt in Wirklichkeit Sarah Vera! Ein gefundenes Fressen für die Presse, Schlagzeilen wie "weiße Frau gibt sich als PoC aus" fluten nicht nur die deutsche Boulevardpresse, sondern erregen auch International die Gemüter. In rasantem Tempo bricht die Credebility der Starprofessorin zusammen und für Nivedita als Lieblingsstudentin von Saraswati gilt wohl - mitgehangen, mitgefangen. Nun steht ihr Weltbild auf dem Kopf, und wütend begibt sie sich zu Saraswatis Wohnung, fordert Antworten und Erklärungen ein und tritt eine hitzige Diskussion los, die sich um Identität und Race als soziales und wandelbares Konstrukt dreht.

Ja, und nicht nur das. "Identitti" umfasst ein weitgefächertes und brandaktuelles Debattenspektrum der heutigen Gesellschaft, verhandelt Themen wie Rassismus, White Privilege, Cultural Appropriation und Gender, lässt dazu auf erster Ebene Niveditas akademisches Umfeld zu Wort kommen, gibt aber auch dem allzu realistischen und erwartbaren Shitstorm der Onlinemedien sowie dem nie allzufernen Twittermob eine Stimme. Der wirklich vielstimmige Roman regt zweifelsfrei zum nachdenken an, ob Identität tatsächlich ein soziales Konstrukt, sprich modellierbar ist - und ich kann verstehen, dass Identitti auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises steht. Mir war es jedoch insgesamt etwas zu überladen. Der Schreibstil war erfrischend, aber meiner Meinung nach sehr bemüht darum 'hip' zu sein; die Protagonisten fand ich leider allesamt recht blass und unsympathisch - wenngleich sie auch Wiedererkennungswert besitzen. Klipp und klar ein ganz unterhaltsames Schreibexperiment, dem man das Herzblut Sanyals anmerkt (es ist gut - keine Frage), aber für mich nicht so ganz überragend wie erwartet.