Rezension

Kluger Roman

Identitti -

Identitti
von Mithu M. Sanyal

Bewertet mit 4 Sternen

Nivedita, im Internet unterwegs als Identitti, Studentin, Frau, Halb-Polin/Halb-Inderin, Wahldüsseldorferin, Kaliverehrerin, usw. beschäftigt sich viel mit dem Thema Identität. Besonders seit sie bei Professorin Saraswati Postcolonial Studies belegt, einer charismatischen Dozentin, die wie Nivedita indische Wurzeln hat. Oder dies zumindest behauptet, denn eigentlich ist Saraswati weiß und heißt Sarah Vera. Plötzlich als weiß geoutet, entspinnt sich ein handfester Skandal, der Nivedita in tiefe Verzweiflung stürzt.

Hat man vor der Lektüre gedacht, man wäre ein aufgeschlossener, vorurteilsfreier Mensch, dem Alltagsrassismus fremd ist, so hat man nachher das Gefühl, man hätte bisher im Leben so ziemlich jedes rassistische, sexistische oder sonstwie-sche Fettnäpfchen mitgenommen, das den eigenen Weg gekreuzt hat. Die Autorin stellt die Thematik überspitzt dar, trotzdem legt sie gezielt Finger auf wunde Punkte. Manches wirkt so abstrus, dabei hat sich Sanyal den ganz realen Skandal um Rahel Dolezal als Ausgangspunkt für ihren Roman vorgenommen. Mancher Tweet, manche Aussage haben also mehr wahren Kern als man glauben mag. Trotzdem bleibt der Nachgeschmack, dass viele sich mit ihrer Meinung nur profilieren wollen oder sich aufregen, um sich mal aufgeregt zu haben. Die eingebetteten Zitate lockern die Handlung auf, manchmal fand ich sie etwas zu gehäuft, sodass der Lesefluss litt. Gleiches gilt für Anhäufungen von Fachbegriffen oder auch die ein oder andere Figur, die in einem Mischmasch von Deutsch und Englisch spricht.

Nivedita, ihre Cousine Priti und natürlich Dozentin Saraswati sind tolle Figuren. Nivedita ist manchmal ein wirklich unsicherer Mensch, auch wenn man ihr das erst einmal nicht anmerkt. Ihre inneren Monologe mit Göttin Kali sorgen oft für einen witzigen Unterton, offenbaren aber auch wie es in Nivedita wirklich aussieht. Ein wenig verloren ist sie unterwegs, Saraswati ein größerer Anker bei der verwirrenden Identitätssuche als zunächst angenommen. Die ist nun wirklich undurchschaubar; ein sehr ausdrucksstarker Mensch, der andere schnell mit seiner Klugheit begeistert und ganz neue Denkweisen eröffnet. Man kann schnell verstehen, warum sie ihre Studenten so fasziniert. Die spannende und wendungsreiche Suche nach ihrer wahren Identität unterhält auf hohem Niveau und verbindet so ernste Töne zu einem brandaktuellen Thema mit literarischem Vergnügen.