Rezension

Gut recherchierter Hintergrund mit fesselnden Romanfiguren gepaart ...

Lady Annes Geheimnis - Martha Sophie Marcus

Lady Annes Geheimnis
von Martha Sophie Marcus

Bewertet mit 4 Sternen

Bewertung:
Das Cover passt wunderbar zu den Büchern der Autorin. Die Farben sind sehr harmonisch miteinander abgestimmt. Auf dem ersten Blick weiß man sofort, dass es sich um einen historischen Roman handelt. Begeistert bin ich auch von der Personen-Legende und dem Glossar, die/das die Autorin im Buch hinten mit reingesetzt hat. So was braucht meiner Ansicht nach jedes historische Buch! Etwas schwindelig wurde mir von der Personen-Legende schon, es sind massig Leute aufgeführt. Sehr schnell wird klar, dass die Legende zum hilfreichsten Mittel beim Lesen wird. Ich habe sie stetig zum Nachschauen genutzt und wäre ohne sie verloren gewesen.

Am Anfang der Geschichte brauchte ich etwas Einlesezeit für die ganzen Charaktere, die schon zu Beginn auftauchen. In die deutsch-englische Kulisse kam ich sofort rein, da der Schreibstil zu dieser Zeit angemessen passt. Im Laufe des Lesens wurde die Geschichte temporeicher und weniger um den heißen Brei geschrieben. 

Ich nehme an, es kostet die Seele viel Kraft, sich tagtäglich gegen die Türen zu stemmen, hinter denen wir unser Leid verbergen. Manchmal muss man wohl für eine Weile loslassen und die Schleusen öffnen. (Seite 103)

Anne ist eine mutige junge Frau, die ein uneheliches Kind mit einem Feind der Krone hat. Ihr wurde das Kind weggenommen, mit dem Vater hat sie keinen Kontakt und als Zofe auf dem englischen Hof versucht sie, diesen Skandal unter Verschluss zu halten. Dabei helfen ihr einige Menschen wie die junge May, die als Straßenkind lebt und London wie ihre eigene Westentasche auswendig kennt. Als Anne erfährt, dass ihr inzwischen fast vierjähriger Sohn aus politischen Motiven entführt und in London versteckt gehalten wird, setzt sie ihre Stellung am Hof und ihr Leben aufs Spiel, um ihn zu befreien. Dabei geht sie ungewöhnliche Wege.

Will ist Annes bester Freund aus Kindertagen und schon lange in Anne verliebt. Er hofft auf ein gemeinsames Leben mit ihr und verfolgt hartnäckig diese Sehnsucht. Dabei entblößt er dem Leser anhand von Tagebucheinträgen seine finsteren Gedanken, die ihm seine Gefühle für Anne beschweren. Er kann Anne zur großen Gefahr werden... Ian, Annes damalige große Liebe und Vater ihres Sohnes, taucht derweil auf Annes Radar auf und hat - neben dem Wunsch, seinen Sohn zu sehen - eigene Interessen, die er durchsetzen möchte.  Komischerweise sagt mir Ian eher zu als Will. Vielleicht auch, weil von ihm nicht nur als Frauenheld berichtet wird. Die Autorin zeigt ihn auch als kleinen Vater und mit Mitgefühl. Deshalb konnte ich viel toleranter sein als bei Will, der doch sehr besitzergreifend und nur auf seinen Vorteil bedacht, wirkt. Ian wird zur Gefahr für alle Beteiligten und diese müssen jeweils für sich entscheiden, wie sie mit dieser Gefahr umgehen sollen.

"Lass uns so tun, als wären wir beide wie früher." "Dumm?", fragte sie spöttisch. "Wenn du es so nenne willst, dann nenn es dumm. Oder jung. Und ein bisschen wild und mutig. Das warst du nämlich. Und du bist es noch immer." (Seite 369, Ian und Anne)

Annes Vater ist ein typischer, eigen interessierter Mann aus jener Zeit. Seine Gefühlskälte und schändliche Berechnungen haben mich nicht überrascht - wo Frauen in dieser Zeit nicht als eigenständige Persönlichkeiten, sondern als einfaches oder lastenhaltiges Mündel galten. Über Annes Mutter erfahren wir leider nichts. Das hätte mich interessiert, gerade, weil der Vater so ist wie er ist.

Es tauchen zahlreiche Nebencharaktere auf, die die Geschichte an vielen Seiten rund und verständlicher machen. Malackay ist ein schlechter Geselle und hält Annes Sohn fest. Dadurch gerät er mit ihr immer wieder in einen offenen Konflikt. Dieser zieht sich über viele Kapitel, am Ende jedoch wird er plötzlich gutmütig und zeigt sich Anne zugeneigt. Das extrem gewandelte Verhalten von ihm kam auf mich auch etwas unglaubwürdig rüber. Besser wäre es gewesen, wenn die Autorin ab und an mal etwas gutmütiges von ihm durchblicken gelassen hätte … so kam es mir erfunden vor.

"Wahrscheinlich wollt Ihr mich auch ärgern, Lady Baynes. Dann macht Euch darauf gefasst, dass ich Euch zum zweiten Frühstück verspeise." "Wenn Ihr jeden verspeist, der Grund hat, Euch zu ärgern, dann werdet Ihr ungeheuer fett werden." (Seite 354/355)

Es gibt so einige Handlungen, die mir zu abrupt oder unwirklich erschienen. Vieles davon geht so Schlag auf Schlag … wobei einiges für meinen Geschmack überstürzt wird, was ich aber wegen der Spoiler-Gefahr nicht näher ausführen möchte. Von Will erfährt man lange Zeit nichts, er taucht erst kurz vor dem Ende wieder auf und bekommt seinen Showdown-Auftritt. Die Tagebucheinträge währenddessen fehlten mir. Sie gaben mir einen intensiven Eindruck von Will und wie er über Anne und ihre Beziehung zu Ian denkt. Auch der kommende Krieg, über den in der gesamten Geschichte berichtet wird, dem Verlauf von Annes Vater und die Nachfolge-Geschichte zwischen Ian und seinem Onkel Maxwell schwirrten noch sehr in der Luft herum, ohne etwas konkretes darüber lesen zu können. 

Im letzten Drittel des Buches beginnt der Krieg …  mir fehlte da echt der geschmeidige Übergang. Erst war alles wie immer und plötzlich im nächsten Kapitel befinden sich alle im Schlachtfeld! Und Ian mittendrin. Ich habe erst gedacht, ich hätte was überlesen und etwas verpasst … das kam für mich völlig unerwartet. Die ganze Zeit wird darüber gesprochen, und dann befindet man sich plötzlich mittendrin … also, das gefiel mir nicht besonders. Das Gefühl, was verpasst zu haben, bin ich immer noch nicht los. Annes Glauben und Bangen, ob Ian noch lebt - da habe ich nur die Augen verdreht. Oh Mann … Ich wusste gleich; der ist nicht tot! Und dass Anne sich immer so schnell davon überzeugen lässt, hat mich genervt. Das war sowas von vorhersehbar! 

"Du wirst mir das vielleicht nicht glauben, aber manche Geheimnisse sind so gefährlich, dass sie auch den Lauschenden umbringen können. Und was du einmal erfahren hast, kannst du nie wieder nicht wissen..." (Seite 220, Anne zu May)

Am Schluss blieb ich doch mit einigen Fragen zurück: Was ist mit May genau passiert? Wie hat sich das Erbe von Ian und seinem Onkel gestaltet? Die Autorin erklärte uns dazu, das das Erbe dem König zufiel, da die zwei zu den Rebellen gehörten. Wer jedoch nicht in der Leserunde dabei ist, weiß das nicht. Hier hätte ich mir einen runden Abschluss gewünscht. Ebenso geht es mir mit Annes Gabe, ihrem Vater all seine Taten und Missgünsten einfach zu verzeihen. Es fehlt für mich die entsprechende Entwicklung zur Vergebung hin. Es kamen mal Gedanken dazu von Anne auf, die aber für so einen Prozess nicht ausreichen bzw. glaubwürdig zur Vergebung führen können. 

Fazit:
Eine nach und nach in sich aufbauende Geschichte, die von entsprechendem Schreibstil sehr schön unterstützt und deren Jahrhundert realitätsnah wiedergibt. Hier fällt einfach auf, dass die Menschen in der damaligen Zeit selbst furchtbarsten Menschen gegenüber mit Respekt begegnen - vor allem innerhalb der Familie. Das ist für unsere heutige Gesellschaft etwas exotisch. Sehr schade! 

Die Charakter sind zum Teil sehr gut ausgearbeitet, die Nebencharaktere verleihen den Hauptcharakteren den besonderen Schliff! ;-) Obwohl das Buch etwas erschlagen wirkt, liest es sich sehr schnell und mithilfe der Legende und dem Glossar problemlos. Die Autorin konnte mich auch den Unterschied von Jakobiten und Jakobiner verständlich lehren:

Die Rebellen hießen tatsächlich "Jacobites" (auf Englisch) oder eben "Jakobiten",wie Sorko sagt. "Jakobiner" sind etwas anderes. Manchmal werden die Begriffe verwechselt, aber wenn irgendwo in meinem Roman "Jakobiner" steht, dann wäre das von mir nicht beabsichtigt.

Eine einnehmende Geschichte mit vielen Charakteren und kleinen Mängeln. Hin und wieder sticht auch etwas Humor und Sarkasmus heraus. Wer gerne Historische Romane ohne schmalzige Liebesgeschichten und echte geschichtliche Hintergründe zu schätzen weiß, hat hier ein tolles Werk gefunden.

"Ich wünschte, wir würde nicht … " Er legte ihr den Finger auf die Lippen und brachte sie damit zum Schweigen. "Nicht mehr darüber sprechen, Anne! Sonst sagst du wieder, dass du mich hasst, und damit muss ich dann schlafen gehen. Ich möchte mich lieber an unseren Kuss erinnern." (Seite 372, Anne und Ian)

Vielen Dank an das Lesejury-Team, dem Verlag und der Autorin für die ermöglichte Leserunde! :-D Ist meine erste Historische auf Lesejury gewesen.
 

Kommentare

WriteReadPassion ergänzte am 17. Juni 2019 um 12:13

Das Foto :-)