Rezension

Gute Übersicht

Herschel - Armin Fuhrer

Herschel
von Armin Fuhrer

Bewertet mit 4 Sternen

Als der Berlin Story Verlag dieses Buch für eine Lesrunde anbot, bewarb ich mich, weil mir die Geschehnisse rund um die Progromnacht vom 9.11.1938 zwar durchaus bekannt sind, über das Schicksal des Auslösers, Herschel Grynspan hingegen wusste ich wenig, schon gar nichts über sein Schicksal nach der Tat.

Diese Lücke hat das Buch nur bedingt schließen können, nicht, weil es schlecht wäre, sondern weil sich die Spur Grynspans irgendwann nach seiner Auslieferung ins Deutsche Reich und einem nicht zustande gekommenen Prozess im Dunkeln verliert. Gerüchte, dass er überlebt haben könne, werden von Armin Fuhrer erwähnt und können nicht lückenlos widerlegt werden, aber für mich persönlich ist es wahrscheinlicher, dass er in den Kriegswirren ums Leben gekommen ist. Hätte er sonst seine Familie Jahrzehnte im Unklaren lassen können?

Der Autor beginnt sein Buch mit einer minutiösen Darstellung der Tat und der Vorstellung sowohl des Täters als auch des Opfers Ernst Eduard vom Rath. Ob dieser nun den Folgen seiner Verletzungen erlag oder von den herbeigerufenen Naziärzten quasi geopfert wurde, wie es der Autor vermutet, spielt meiner Ansicht nach keine so große Rolle, entscheidend ist, was die Nazis aus der Tat gemacht haben, eben die Inszenierung des Ausbruchs des "gesunden Volkszorns", der sich in der Gewaltexplosion äußerte. Ob damit das Attentat vom 7.11. den Beginn des Holocaust markiert, wie es der Untertitel des Buches nahe legt, sei mal dahingestellt, eine markante Verschärfung der Judenpolitik des Dritten Reiches stellt es allemal dar. Angesichts der Ergebnisse dieser Politik ist eine Debatte über die Stellung der sogenannten "Reichskristallnacht" eher akademisch.

Neu war für mich auch die Lesart, dass es sich bei der Tat um eine Beziehungstat zwischen zwei Homosexuellen gehandelt habe, die vor allem nach dem Krieg kolportiert wurde. Außer der Tatsache, dass vom Rath vermutlich wirklich homosexuell war und beide in Paris lebten, spricht allerdings wenig dafür. Tatsächlich scheint das von Herschel in seiner ersten Vernehmung angegebene Motiv, Empörung über die Ausweisung der in Deutschland lebenden polnischen Juden, darunter seine Eltern, ausschlaggebend gewesen zu sein. Aber auch hier gilt letztlich das oben Gesagte, was ändert das Motiv an den tatsächlichen Folgen.

Wer sich für diese Vorgänge interessiert und wer darüber einen Einblick in den Verlauf der Judenvernichtung gewinnen will, die Fuhrer immer wieder mal in die Darstellung einflechtet, ist mit diesem Buch gut bedient.