Rezension

Guter Ansatz mit einigen Mängeln

Die Luft da oben - Pauline Keller

Die Luft da oben
von Pauline Keller

Bewertet mit 3 Sternen

Meist kämpfen Frauen in der Literatur ja eher mit ihrem Übergewicht. Eine Protagonistin, die unter ihrer Körpergröße leidet, ist mal etwas Anderes. Aber für mich war der optische Makel hier sowieso nur zweitrangig, denn es wird schnell klar, dass die wahren Gründe für Lenas Selbstzweifel und Selbsthass weniger an ihrem Aussehen selbst liegen, sondern daran, wie ihr Umfeld sie behandelt.

Mit Ausnahme ihres Freundes Christian ist sie eigentlich nur von A-Löchern umgeben. Ihre Eltern wollen ihr vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen hat und machen ihr einfach für alles Vorwürfe. Wie stark Lenas Mutter auf die Meinung der ätzenden Tratsch-Nachbarin fixiert ist, ist nahezu krankhaft. Kein nettes Wort fällt zwischen den Familienmitgliedern, im Gegenteil. Lenas Schwager Manfred schießt sicherlich den Vogel ab und ist hier die unsympathischste Figur unter vielen. Er ist feist und unverschämt und hat wirklich kein Fünkchen Liebenswürdigkeit an sich. Er beleidigt Lena in einer Tour und behandelt seine Frau wie eine Dienstmagd. Mein Mitleid für Lenas Schwester hielt sich jedoch in Grenzen, da sie auch nur auf ihrer kleinen Schwester herumhackt, selbst dann noch, wenn Lena ihr verbal zur Hilfe gegen Manfred eilen will. Eine ätzendere Familie könnte ich mir persönlich nicht vorstellen.

Dazu kommen noch weitere Nebenfiguren, die der Protagonistin das Leben schwer machen. Allen voran Lenas „beste Freundin“ Verena, an der man wirklich beim besten Willen nichts Positives finden kann. Sie ist extrem egozentrisch und tyrannisiert Lena. Bei Verenas Ausrastern dachte ich mir, von Familie kann man sich schwer trennen, aber dass Lena schon seit der Schule mit diesem Monster befreundet ist, kann ich einfach nicht nachvollziehen. Hier war ich dann auch von Lena sehr genervt, die sich jahrelang so vieles gefallen ließ und sich auch noch schlecht fühlte bei all den lächerlichen und unangemessenen Vorwürfen ihrer „Freundin“. Dass Lena dann endlich einen Schnitt machen konnte, hat mich gefreut, aber es hat mich auch etwas gewundert, dass das noch so vielen Jahren dann doch plötzlich so schnell geht.

Daneben gibt es noch eine beleidigende Schwiegermutter in spe, der Lena nicht gut genug ist (aber gut genug, um ihr Enkel zu gebären…), ein spinnerter Frauenarzt, der Lena allen Ernstes dazu drängt, endlich mal mit dem Kinderkriegen anzufangen, um einer späteren Brustkrebserkrankung vorzubeugen sowie eine tratschsüchtige Nachbarin, die eine Spitze nach der anderen von sich gibt.

Welch eine Wohltat ist dagegen Freund Christian, der wenigstens im Gegensatz zu Lena auch mal den Mund aufmacht, wenn es ihm reicht. Und auf dem Klassentreffen gibt es dann auch glücklicherweise noch Menschen, die gegenüber Lena nett sind.

Mein Hauptkritikpunkt an Lenas Geschichte ist der, dass sie sich 25 Jahre lang so von allen unterbuttern lässt und dann plötzlich innerhalb einiger Tage/Wochen einen starken Wandel vollzieht. Es sei ihr ja gegönnt, aber diese Entwicklung kam mir zu schnell und deshalb auch zu oberflächlich daher. Auch die Erkenntnis beim Klassentreffen, dass sie ihren Beliebtheitsgrad zu Schulzeiten völlig falsch eingeschätzt hat, fand ich etwas an den Haaren herbeigezogen. (Da ich nicht spoilern will, führe ich dies nicht genauer aus.)

Auch mit dem Schreibstil war ich nicht gänzlich zufrieden. An und für sich hat sich das Buch schnell gelesen, aber ich empfand den Stil als sehr unruhig mit vielen Einschüben bzw. Satzzeichen (v. a. Ausrufezeichen) mitten in den Sätzen. Und es gab doch wirklich einige Formulierungen, über die ich gestolpert bin, wie z. B.:

- "Ich bemühe mich um eine aufrechtere Körperhaltung, als wonach mir eigentlich zumute ist."

- "Ich nicke ihr dankend in die Augen."

- "Und danach - schluck! - wackelt mir's Gestell."

Hier wäre es sinnvoll, für weitere Auflagen noch einmal jemanden Korrektur lesen zu lassen.

Da ich selbst Fränkin bin, habe ich mich sehr gefreut, dass Lenas Geschichte quasi bei mir um die Ecke spielt und fühlte mich natürlich mit dem einfließenden fränkischen Vokabular vertraut. Aber da die Figuren an sich keinen Dialekt sprechen, hätte ich Dialektworte wie „Spätze“ oder „‘rüber und ‘nüber“ dann auch konsequent weggelassen. Aber das ist sicherlich Geschmackssache.

Gut hingegen fand ich die innere Zerrissenheit von Lena. Ihre Gedanken und inneren Monologe geben sehr gut wieder, wie sich jemand fühlt, der ein kaputtes Selbstbewusstsein hat – diese Selbstzerfleischung und diese furchtbar verzerrte Wahrnehmung, die man selbst von sich hat. Die Autorin hat diese Problematik des Selbsthasses gut dargestellt. Ich denke, Lenas Geschichte ist vor allem interessant und ggf. sogar hilfreich für Menschen mit geringem Selbstbewusstsein. Leser, die Lenas Selbsthass nicht nachvollziehen können, könnten hingegen schnell von ihr genervt sein.

Alles in allem ist "Die Luft da oben" ein Debütroman mit einigen Mängeln, aber guten Ansätzen. Ich freue mich auf Neues von dieser Autorin!