Rezension

Harte Flüchtlings-Realität, heiter und leicht erzählt

Freitag ist ein guter Tag zum Flüchten -

Freitag ist ein guter Tag zum Flüchten
von Elyas Jamalzadeh

Bewertet mit 5 Sternen

Es ist kein Spiel, sondern blutiger Ernst – ein Ernst, den die Autoren auf erstaunlich heitere Weise vermitteln.

Ein witziger Buchtitel, das neugierig macht, und ein Cover, das gute Unterhaltung verspricht, anstatt moralinsaurer Belehrung, wie man sich gegenüber Asylanten gemäß Political Correctness gefälligst zu verhalten habe und dergleichen. Einzig zu bemängeln die Leseprobe auf der Umschlagrückseite. Wie altbacken, die literarische Qualität des Autors anhand einer Naturmetapher hervorzuheben, wie sie von allgewaltigen LektorInnen des deutschsprachigen Verlagsbusiness heutzutage verlangt wird wird, wenn sie Jungautoren die Gnade der Veröffentlichung erweisen.

Jamalzadeh und Hepp leisten viel mehr, sie haben in ihrem Erstlingswerk Genre-übergreifend neuen Standards gesetzt. Schon auf Seite 7 ein wirklich witziges Dialog-Gemisch aus Deutsch und Arabisch, wobei man Leser spätestens auf Seite 12 nicht mehr aus dem Lachen herauskommt, wenn es heißt:

„Stell dir vor, du gehst in die Schule, und plötzlich dürfte niemand mehr Deutsch sprechen, sondern nur noch irgendein Chinesisch."

Den darauf folgenden Dialog kann ich hier nicht wiedergeben, da meinem Laptop die sinologischen Piktogramme fehlen. Ich schwöre jedoch als sorgsamer Rezensent, dass man sich spätestens ab hier beruhigt im Caféhaus-Sessel zurücklehnen kann und das genießen, war nur wirklich gute Autoren zu leisten vermögen: Den Leser ernst nehmen, ihn angenehm unterhalten und in eine fremde Welt hineintragen!

Jene Welt, die des frauenverachtenden Taliban-Islamismus Afghanistans, ist hart und brutal. Man wird auf den folgenden Seiten mit viel Leid konfrontiert, das dort herrscht. Und zur Flucht gen Westeuropa steht Elyas in seinem autobiografischen Roman auch kein fliegender Teppich wie in Tausendundeiner Nacht zur Verfügung. Sein Buch ist voll Fakten und Erlebnisberichten. Die Gefahr von langweilendem Infodumping ist groß, zumal es in den letzten Jahrzehnten genug Fernsehberichte die so genannte Flüchtlingskrise medial eigentlich schon über die Maßen ausgewalzt ist.

Ein Blick auf die Danksagungen Seite 253ff verrät, dass Elyas Jamalzadeh durch Andreas Hepp, den ich an dieser Stelle Co-Autor nennen möchte, Unterstützung erhielt, zudem von professionellen LektorInnen – was jedoch nicht unbedingt zu einen guten Buch führen muss (siehe Privater Hinweis des Rezensenten). Ausschlaggebend ist für  mich jedoch, dass der Autor ist in literarische Weise assimiliert hat, ohne seine Herkunft zu verleugnen. Natürlich mag ich Wien und die Österreicher habe Freunde dort und verliebte mich einst unsterblich in  eine Burgenländerin namens Lisl – aber bittschön Herrschaften, das ist nun wirklich privat!

Was den Clash of Cultures betrifft, so fühle ich mich an des Hollywood-nominierten Spielfilm „I Love Vienna“ von 1991 erinnert, wo auf erfrischend witzige Weise die positiven Multikulti-Nachwirkungen der Österreichisch-Ungarischen Donaumonarchie wiederauferstehen. Übrigens war der im Iran geborene Afghane Elyas Jamalzadeh vor seiner Flucht über die Türkei und das Mittelmeer nicht nur Kinderarbeiter, Straßenhändler, Mitglied einer Jugendband und Boutiquebesitzer, sondern auch Hauptdarsteller eines iranischen Spielfilms, bevor schließlich im Oberösterreichischen Linz das Friseurhandwerk erlernte. Vielleicht rührt daher jener irrwitzige Humor, mit dem er seinen autobiografischen Abenteuerroman vorantreibt.

Man denkt beim Lesen unwillkürlich an Mark Twains "Tom Sawyer", Robert Louis Stevensons "Schatzinsel", Karl Mays "Durchs wilde Kurdistan", Jack Londons "Lockruf des Goldes", Ernest Hemingways "Fiesta", Jack Kerouaks "Unterwegs", Salman Rushdies "Mitternachtskinder", und Sven Regeners "Magical Mistery", allesamt authentische Heldenerzählungen in Ich-Form, jedoch mit einem großen Unterschied: Elyas Jamalzadeh übernahm schon in frühester Jugend, gezwungenermaßen, die Rolle des Familienernährers, ähnlich wie es momentan, wenn die Rezensent diese Zeilen schreibt, bei Millionen junger Menschen im Ukraine-Kriegs sein wird. Es ist  kein Spiel, auf dass er sich erlässt, sondern blutiger Ernst – ein Ernst, den er gegenüber uns Lesern auf heitere Weise vermittelt, gleich jenes jüdischem TV-Komiker, der jetzt in Kiew als Ziel von Mordkommandos sein Volk zum Durchhalten motiviert.

Dieses so genannte "Genre-Problem" wird die großen deutschsprachigen Verlagskonzerne, die in Zeiten von Corona auf bewährtes setzen, auf sadistische Thiller der üblichen Art, auf schon längst erschlaffte ehemalige Bestsellerautoren und Übersetzungen von Literatur, die sich auf dem englischsprachigen Buchmarkt durchgesetzt hat, davon abgehalten haben, das Buch in ihr Programm aufzunehmen und mit den üblichen Lektoratsvorgaben zu verhunzen. Mit Unterstützung der österreichischen Kulturforderung konnte es im kleinen Wiener Paul Zsolnay Verlag herauskommen, einst einverleibt aber nicht glattgebügelt von Münchner Carl Hanser Verlag.

Kommen wir zur  eingangs kritisierten Leseprobe auf Umschlagseite 4. Das Autorenteam Jamalzadeh/Hepp hat weit mehr zu bieten als Naturmetapher, wie sie von Großrezensenten in TV-Literaturclubs stets gähnend langweilig vorgetragen werden. Anstatt auf den ersten Seiten uns Wohlstandsbürger beim Lesen von Flüchtlingsbiografien ein schlechtes Gewissen zu machen, verführen sie mit Allerwelts-Jugenderlebnisse, wenn sie auf Seite 19 schreiben: 

"Ich liebte es, rauszulaufen vors Haus und mit den anderen Jungs auf den weiß-schwarzen Lederball einzudreschen, der mit dem Älterwerden nur noch ein Drittel so groß, dann nur mehr ein Viertel so groß, dann schließlich nur noch ein Fünftel so groß war wie ich." 

Das erinnert mich sofort an Wolfgang Tilgners großartige Poesie im "Lied der Generationen" von den Puhdys: 

"Als ich klein war, schien die Welt riesig groß, ziemlich groß..."

Ein Stück weiter auf  Seite 36 stellen die Autoren in der Icherzählers-Rolle selbstbewusst klar: 

"Ich erzähl nicht alles der Reihe nach. Das ist mein Buch, also darf ich das."

Die Macht der scheinbar allmächtigen Großverlags-Lektor-Zensur ist gebrochen. Auf der nächsten Seite 37 ein Beispiel für schwarzen Humor, wenn von prügelnden Koranlehrern berichtet wird: 

"Wir mussten die Hände ausstrecken, und jedem von uns wurde ein paar Mal auf die Hände geschlagen. Einmal, als ich die Hand zurückgezogen hab, hat er sich mit dem Zweig, weil der so biegsam war, selbst in die Eier geschlagen" Das war witzig! Und dann bin ich von ihm verprügelt worden. Und – scheiß drauf  - es war trotzdem witzig." 

Das ist Literatur, dass hätte auf Umschlagseite 4 stehen müssen anstatt der dort abgedruckten Naturmetapher, die nichts, aber auch gar nicht über den literarischen Stil der Autoren aussagt. Und weil's so schön ist, trotz all der geschilderten Schrecken, hier die auf den Seiten 52 bis 53 beschriebenen Gesichtsakne eines Geheimdienstmannes, der den kleinen Afghanenjungen in den Folterkeller steckt: 

"So viele bunte Formen. Ein Kunstwerk! Rote Pickel, aufgekratzte Pickel, eitrige Pickel, (...) vielleicht sogar ganze Pickelfamilien, wie sich manche richtig zusammenkauerten auf der Hautoberfläche (...) I-don't-need-no-woman-Pickel, kompensierende Pickel, scheinbar zufriedene Pickel, an diesem Tag aufwachende Pickel, auf den Basar gehende Pickel (...) ihm genüsslich ins überraschte Gesicht blickende Pickel." 

Verdammt nochmal, so etwas will ich kommenden Juno 2022 bei der Live-Übertragung beim altehrwürdigen Ingeborg-Bachmann-Preis hören, wenn  Elyas Jamalzadeh und Andreas Hepp als Gewinner 25.000 Euro einsacken. Ich wette, die üblichen Verdächtigen der Literaturmafia trauen sich nicht!
Noch nicht genug Okay Leute. hier eine allerletzte Leseprobe von den Seiten 60 bis 61.  Den Rest könnte ihr selber lesen! Ihr werdet bestens unterhalten und zugleich öffnet sich euer Horizont für die Welt dort draußen jenseits unserer mitteleuropäischen Luxusproblemchen.

"Und wo könnt man Elyas Jamalzadeh das Ende der Welt besser verbringen als in einem Keller nahe Teheran, einige Stunden vor der Abschiebung in das fremde Heimatland, in dem sie deine Familie in die Luft sprengen wollen, und in dem hennafarbene Bärte mit ihren Männern spazieren gehen, und in dem Mädchen ohne Jungs Jungs und Jungs Jungs sind, und in dem Kalaschnikows mit Hochzeitsgästen – echt, schau auf YouTube, da gibt's Videos davon! - tanzen?"

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