Rezension

Hat nicht ganz die eindringliche Wucht des Vorgängers, ist aber ebenso lesenswert

Die Zeuginnen - Margaret Atwood

Die Zeuginnen
von Margaret Atwood

Mehr als 30 Jahre nach „Der Report der Magd“ ist 2019 eine Fortsetzung erschienen, in der, das soll bereits verraten sein, auch Desfreds Geschichte noch einmal erwähnt wird. In der Erzählung selbst sind 15 Jahre vergangen, und auch hier gibt es wieder Ich-Erzählerinnen, dieses Mal sind es drei, neben Tante Lydia, die man schon aus dem Vorgänger kennt, zwei junge Frauen, eine davon in Gilead, die andere in Kanada aufgewachsen.

Auch hier ist die Geschichte wieder sehr eindringlich, aber die Wucht des Reports der Magd erreicht diese Erzählung bei weitem nicht, was möglicherweise auch darin liegt, dass die Perspektive immer wieder gewechselt wird. Bei Desfreds Bericht wurde die ganze Dramatik wesentlich deutlicher, weil man so eng bei ihr war – und natürlich kennt man die Zustände in Gilead bereits aus dem Vorgängerband. Dennoch sind auch diese Zeuginnenaussagen sehr eindringlich und machen das Dilemma deutlich, das Frausein in Gilead bedeutet. Besonders Tante Lydias Bericht hat eine ganz eigene Aussagekraft – hier wird sie einem sogar fast sympathisch, erstaunlich, war sie doch im ersten Band noch jemand, der regelrecht Hass hervorrufen konnte.

Unbedingt sollte man Desfreds Geschichte bereits kennen, um die Fortsetzung überhaupt komplett zu verstehen und sie würdigen zu können. Ich selbst habe beide Romane hintereinander gelesen und war erst ein wenig enttäuscht, dass Desfred selbst keine Stimme mehr bekommen hat, aber am Ende hat es schon gepasst und ich habe einen Eindruck bekommen, was nach den letzten Sätzen ihres Reports geschehen ist.

Auch hier gibt es übrigens wieder im Anhang eine wissenschaftliche Tagung, die ca. 200 Jahre später stattfindet und die (ähnlich wie im ersten Band Desfreds Report) die Zeuginnenaussagen analysiert – und hier erfährt man ganz am Schluss noch einmal etwas über Desfreds Schicksal, das für mich ein gelungener Abschluss der Geschichte ist. Also unbedingt diesen „historischen Anmerkungen“ genannten Abschnitt lesen!

„Die Zeuginnen“ ist eine gelungene Fortsetzung von „Der Report der Magd“, die offene Fragen des Vorgängers beantwortet, aber nicht dessen eindringliche Wucht erreicht. Wer jedoch den ersten Band gut fand, sollte hier unbedingt zugreifen, ansonsten gilt: Erst Band 1, dann Band 2 lesen, was ich ausdrücklich empfehle.