Rezension

Hebt sich positiv von anderen Genrevertretern ab

Darling Jim - Christian Mørk

Darling Jim
von Christian Mørk

Bewertet mit 5 Sternen

In dem irischen Ort Malahide macht der Postbote Desmond eine grausame Entdeckung, die den Bewohnern noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Schon lange hatten ihm die Stimmen in seinem Inneren Warnungen vor der Bewohnerin des Hauses One Strand Street zugeflüstert. Denn Mrs. Walsh bat ihn schon seit geraumer Zeit nicht mehr auf eine Tasse Tee ins Haus und verhielt sich auch sonst sehr zurückhaltend. Doch bislang hatte er seiner inneren Stimme kein Gehör geschenkt, sondern Mrs. Walsh Einsamkeit das exentrische Verhalten zugeschrieben. Denn gelegentlich drangen merkwürdige Geräusche beim Austeilen der Post an sein Ohr und hatten nicht auch die Vorhänge sich schon öfter blitzartig bewegt? Doch als ein unangenehmer, fauliger Geruch aus dem Briefschlitz strömt und er schließlich die Leiche von Mrs. Walsh erblickt, ahnt er noch nicht welch grausame Szenen sich hinter der verschlossenen Tür abgespielt haben.

Denn die Polizei findet nicht nur  Mrs. Walsh Leiche im Haus, sondern zwei weitere tote Frauenkörper. Bei den beiden jungen Frauen handelt es sich um Mrs. Walsh Nichten Fiona und Róisín. Scheinbar wurden sie von ihrer Tante heimlich im Haus gefangen gehalten, angekettet und misshandelt. Ihre Leichen sind bis auf die Knochen abgemagert. Eine vierte Person muss sich ausserdem im Keller aufgehalten haben, doch sie bleibt spurlos verschwunden. Die Polizei steht vor einem Rätsel, denn die Gründe für Mrs. Walsh Handeln scheinen völlig unklar. Dabei ist das Motiv das natürlichste auf der Welt. Es ist ein Gefühl, das noch viel stärker ist als der Hass von dem die Tante zuletzt getrieben wurde. Die Liebe ist die Ursache dieses grausamen Verbrechens, das  alle Beteiligten in den Tod riss. Beinahe alle Beteiligten, denn eine Person konnte ja aus dem verfluchten Haus entkommen.

Niall, ein Postbeamter der in der Sortierabteilung arbeitet, findet während seiner Schicht einen fleckigen und eingerissenen Umschlag. Gleichgültig wirft er einen Blick auf den Absender und erstarrt im nächsten Moment vor Schreck. Denn der Umschlag stammt von Fiona Walsh, einem der ermordeten Mädchen. Beim hin und her wenden bemerkt er eine krakelige Botschaft " Wir sind bereits verloren. Lies diese Geschichte nur, damit wir nicht vergessen werden." Zitternd nimmt Niall den Umschlag an sich. Zu Hause findet er das Tagebuch der ermordeten Nichte Fiona im Umschlag und gerät nun selbst in den Sog der geheimnisvollen und tödlichen Ereignisse. Denn der Grundstein für das grausame Verbrechen wurde bereits an dem Tag gelegt, als der geheimnisvolle irische Geschichtenerzähler Jim Quick in das Leben der Walsh Frauen trat. Denn mit seinem nahezu teuflischen Charme und seinen Schauergeschichten bezaubert er die Herzen aller Frauen im Ort. Er blendet sie und kann sein Raubtierwesen verstecken, doch wie viel Wahrheit steckt in seinen Geschichten, wird er sie am Ende lieben oder töten?

 

Thriller gehören zu einer meiner bevorzugten Leserichtungen und deshalb habe ich in diesem Bereich schon einiges gelesen. Dieses Buch hebt sich jedoch vom herkömlichen Thriller-Einerlei ab, denn polizeiliche Ermittlungen und die ewige Suche nach einem  Serienkiller findet man in diesem Buch nicht. Deshalb kann man auch schon fast darüber streiten, ob die Bezeichnung "Psychothriller" gerechtfertigt ist. Doch wenn ich mir die Definition ansehe, mit der Wikipedia  diesen Begriff erklärt, dann scheint die Genre Einstufung doch korrekt. Denn dort heisst es unter anderem, dass  bei Psychothrillern die Charaktere und ihre Psyche stärker betont werden und meist ein Konflikt zwischen mehreren Personen zum Thema gemacht wird, der sich auf frühere Erlebnisse bezieht.

Dieses Buch hat mich wirklich von Anfang an in seinen Bann gezogen, gerade weil es sich von den anderen Genrevertretern abhebt.
Die von Christian Mørk gewählte Erzählperspektive empfand ich als spannend und zur Erzählung passend. Denn im Anfangskapitel erlebt man bereits den vermeintlichen Ausgang der Geschichte, nämlich den Tod der drei Frauen. Dadurch dass der Postbeamte Niall das Tagebuch von Fiona findet, wechselt die Perspektive in die Tagebuchform und ermöglicht eine Sicht auf die vorangegangen Ereignisse aus der Sicht Fionas. Von der Ankunft des Geschichtenerzählers im Ort, bis kurz vor dem grossen Finale im Haus der Tante. Niall findet einen weiteren Hinweis auf ein zweites Tagebuch, welches von Róisín stammen soll. Er macht sich auf die Suche und schließlich wechselt die Perspektive wieder in Tagebuchform. Diesmal erlebt man das Geschehen aus ihrer Sicht.
Gerade dieser Perspektivenwechsel und die gewählte Erzählform hat mir gut gefallen.

Auch die Geschichten des Seanchaí Jim Quick, die Fiona bei ihren Pubaufenthalten so gebannt verfolgt hatte, brachten mich zunächst auf eine falsche Fährte. Das  Märchen und seine Magie, gaben der Geschichte ein besonderes Flair und bildeten für mich auch den Hintergrund eines irischen Thrillers. Zwar kam auch für mein Empfinden die Spannung die einen Thriller sonst ausmacht zu kurz, aber das Buch fesselte mich auf eine andere Weise und zog mich so regelrecht in seinen Bann, da ich unbedingt die Zusammenhänge erfahren wollte. Die Mischung aus irischen Geschichten, Liebe, Enttäuschung, Hass, Magie,  ungeklärten Mordfällen und dem gelungenen Wechsel der Erzählperspektiven hat mich wirklich begeistert.

Von mir erhält das Buch in der Bewertung jedenfalls alle fünf Sterne, da mich die Mischung einfach überzeugt hat und es sich vorteilhaft aus dem Thriller-Einheitsbrei abhebt. Von diesem Autor möchte ich gerne mehr lesen.