Rezension

Humorvoll & kritisch!

Lieber Mischa - Lena Gorelik

Lieber Mischa
von Lena Gorelik

Jüdisch zu sein heißt für mich, dass ich gerne möchte, dass du auch dieses Gefühl kennst und ich Dir deshalb ein paar Dinge erklären will, ein paar Dinge, die ich mit einem »Oj vej« werde einleiten müssen, ein paar Dinge, die schön-nervtötend-melancholisch-komisch-gemein-absurd-rassistisch-wunderbar-verrückt-erzürnend-wahnsinnig-klug-unwichtig-lebensbejahend-todtraurig-einfach-schwierig-jüdisch sein werden. - Seite 22

"Jüdisch zu sein heißt für mich, dass ich gerne möchte, dass du auch dieses Gefühl kennst und ich Dir deshalb ein paar Dinge erklären will, ein paar Dinge, die ich mit einem »Oj vej« werde einleiten müssen, ein paar Dinge, die schön-nervtötend-melancholisch-komisch-gemein-absurd-rassistisch-wunderbar-verrückt-erzürnend-wahnsinnig-klug-unwichtig-lebensbejahend-todtraurig-einfach-schwierig-jüdisch sein werden. – Seite 22"

Humorvoll & kritisch!

Lena Gorelik ist Jüdin. Sie lebt in der Gegenwart, nicht in der Vergangenheit des Holocaust und dies stellt sie in ihrem Buch beeindruckend amüsant dar! Sie ist in den 90er Jahren von Russland nach Deutschland gezogen, wurde dort als “Kontingentflüchtling” aufgenommen und lebt seitdem mit Mann und Kindern in München. Gerade ist sie Mutter geworden und möchte in ihrem Sohn im neuesten Buch erklären, warum er auf seine ungewöhnliche Nase stolz sein kann oder wie er es schafft, unter die Top10 der coolsten Juden zu kommen!

Klischees? Aber gerne!

Ich habe schon einige Bücher rund um Religion gelesen, habe brav im Unterricht in der Schule gesessen und den Unterschied zwischen verschiedenen Glaubensrichtungen gelernt, aber so humorvoll und befreiend hat sich noch niemand mit den gängigen Klischees befasst wie Lena Gorelik. Ich bin absolut angetan von ihrem Schreibstil, der mich regelrecht durch die Seiten fliegen lässt, schmunzelnd über Randkommentare - ja, richtig gelesen, am Rand wurden in kleingedruckter Schrift Kommentare eingefügt, die dem Ganzen eine besondere Note verleihen- und Kommentaren zu Kommentaren und natürlich Kommentaren zum Kommentar zum Kommentar! Köstlich, einfach nur herrlich ist dieses Buch auf den seinen insgesamt 185 Seiten. Vom Hund, der typisch jüdisch zwischen Milch und Fleisch essen eine Pause einlegt, indem er nur das Hähnchen vom Corden-bleu separat frisst, den Schinken verschmäht und den Käse zum Abschluss vertilgt bis zum Lieblingshobby eines Juden: dem ausgiebigen Feiern mit dazugehörigem Festmahl – wenn man es denn als solches bezeichnen kann, was teilweise offensichtlich nicht immer der Fall ist – ist alles drin, was unter den gängigen Klischees eines Nichtjuden über ein jüdisches Mitglied der Gesellschaft verbreitet ist.

"Aus dem Kapitel “Zehn Gebote für G”tt: 8. Gebot Du sollst George Clooney nicht die Nespresso-Kapseln klauen. (Und eine Frage hierzu: Siehst du aus wie John Malkovich, oder ist John Malkovich du?)" – Seite 146

Die Autorin geht mit diesem Thema so humorvoll und erfrischend witzig um, dass es eine wahre Freude ist, dieses kleine 185 Seiten schlanke Buch zu lesen! »Klein, aber oho« trifft es hier auf den Punkt! Sie richtet das Buch an ihren kleinen Sohn, um ihm zu erklären, dass er ein Jude ist, und dafür kann er nichts, das ist einfach so. Sie gibt aber gleich Entwarnung, denn sie ist nicht die typische jüdische Mutter, die ihrem Kind gefühlte zwanzig Mal am Tag hinterhertelefoniert, um sich zu vergewissern, dass mit dem wohlgemerkt erwachsenen Nachwuchs alles in bester Ordnung ist. Schmunzeln erlaubt, Lachen ebenso! Ja, es ist ein wahrlich schwieriges Thema, sagt nun so mancher deutscher Bürger. Warum denn? Darf man sich nicht humorvoll über das Judentum äußern? Oh doch, das darf man und Lena Gorelik versteht es, das sehr treffend zu formulieren! Judentum, jüdisch zu sein bedeutet weniger nur religiös zu sein, sondern vielmehr eine Fülle an Traditionen, typischen Verhaltensweisen und -regeln zu lieben und zu leben sowie sich selbst eine gehörige Portion Humor zu bewahren. Das wiederum fällt wohl nicht allen so einfach, wenn sie mal wieder den Blick in die Geschichte wagen.

Welch Ironie!

Doch »Lieber Mischa«, das ich im Rahmen einer Leserunde bei lovelybooks.de lesen durfte – vielen Dank an den Ullstein / List Verlag für das Leseexemplar – ist nicht nur humorvoll, sondern auch kritisch und ironisch, vor allem wenn es um das Thema Antisemitismus, Philosemitismus, Konversion und die deutsche Vergangenheit während des Nationalsozialismus geht. Über so mancher Textstelle musste ich wirklich den Kopf schütteln, ob der Denkweise mancher Menschen, für die es Normalität zu sein scheint, mit einem Juden befreundet zu sein nur um dieser “besonderen Freundschaft ” willen, mit der man quasi hausieren gehen kann, als ob dies beweisen würde, dass man ja kein Antisemit wäre. Schonungslos wirft Lena Gorelik so manche Frage auf, stellt sie in den Raum und lässt den Leser nachdenklich werden. So manche Feststellung, bei der ich sich die Autorin fragt, was bezwecken diese Menschen, die in deutsch-jüdischen Gemeinden arbeiten, auf Lesungen jüdischer Autoren gehen, tun sie dies, um ihr eigenes Gewissen zu beruhigen, um Vergebung für die Taten ihrer Vorfahren zu erhalten oder weil es sich einfach gut anfühlt, mit einem jüdischen Gemeindemitglied “befreundet” zu sein? Zeitweise liefen mir wirklich kalte Schauer den Rücken hinab, denn dieses Thema ist nach wie vor brandaktuell und ich finde es wirklich klasse, wie die Autorin in ihrem Buch dies thematisiert und auf den Punkt bringt, gewürzt mit einer zwischendurch verteilten Prise Selbstironie.

"G”tt und ich, wir regeln die Sache unter uns, auch ohne Synagoge, denke ich. Zumindest solange die Synagoge in meinem Kopf nicht Wirklichkeit wird. Ich gehe einfach mal davon aus, dass G”tt sich dort ebenso gerne aufhalten würde wie ich: mitten im Lärm, Lachen, im jüdischen Leben." – Seite 144

Es ist nichts bedauernswertes daran, Jude zu sein. Es tut nicht weh, sie leben nicht tagtäglich in der Vergangenheit, im Gegenteil. Lena Gorelik stellt eindeutig klar, dass sie verdammt viel Zukunft ist, dass sie ihre Gegenwart lebt und liebt. Das macht das Buch so lesenswert, es ist nicht ein weiterer Schicksalsbericht, wie schlimm es ist Jude zu sein. Nein! Es ist Lebensfreude pur, es zeigt Einblicke in eine Welt, die mehr Familiengedanke in sich birgt als so mancher von “unserer Welt” behaupten kann!

"Aber wir leben hier, und wir leben gerne hier, und wir freuen uns des Lebens, und das ist kein Verrat an unseren ermordeten Verwandten, sondern ein Triumph, den wir ihnen schulden. Und ich sage das, und ich weiß, ich habe nichts erlebt.” – Seite 180

Mein Fazit: Ein tolles, ganz besonderes Buch über die jüdische Lebensart, ihre Eigenart und die ironisch-witzige Art, damit umzugehen und zu leben! Empfehlung für alle, die mal einen vorurteilsfreien Einblick in diese Welt erhalten wollen und sich einer amüsanten, aber auch kritischen Lektüre zum Thema Judentum widmen möchten! Lachen erlaubt!!