Rezension

“I didn’t shoot anybody, no sir!”

Aus dem Schatten des Vergessens -

Aus dem Schatten des Vergessens
von Martin Michaud

Bewertet mit 5 Sternen

Montreal, Kanada: Nur wenige Tage vor Weihnachten begeht ein obdachloser Mann Selbstmord, eine renommierte Professorin und Psychiaterin wird ermordet aufgefunden und ein Anwalt verschwindet. Bemerkenswert ist, dass bei dem Selbstmörder die Brieftaschen der beiden anderen gefunden wurden. Dessen letzte Worte:

„Ich hätte auch gern Erinnerungen.“

Je me souviens - Ich erinnere mich ist der Originaltitel des Kriminalromans Aus dem Schatten des Vergessens frankokanadischen Schriftstellers Martin Michaud.

Was ich hier gelesen habe, hat mich von den ersten Seiten an angefixt. Dieser Kriminalroman hat unglaublich viele Facetten, ist sprachlich und vom Aufbau sehr komplex. Michaud verschlingt die gegenwärtige Handlung mit Rückblicken auf unterschiedlichen Zeitebenen. Sein Protagonist, der Sergent-Detective Victor Lessard, trägt diverse Geschichten aus seiner Vergangenheit mit sich herum. Seine Partnerin Jacinthe ist eine Urgewalt von Polizistin, laut, ungehobelt und kongeniale Ergänzung zu Lessard.

Michaud führt einen sehr weiten Bogen von den aktuellen Ermittlungen über die Unabhängigkeitsbestrebungen der kanadischen Provinz Québec in den 1980er Jahren bis zur Ermordung des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy im Jahr 1963.

“I didn’t shoot anybody, no sir!”

Wie die Worte Lee Harvey Oswalds im Zusammenhang mit dem brutalen Mord an der Psychiaterin und dem zunächst vermissten und später auch getöteten Anwalt stehen, befeuert die Verschwörungstheorien rund um das Attentat auf Kennedy. In seinem Nachwort zu diesem Kriminalroman schreibt Michaud über die dichterische Freiheit sich über historische und politische Realität hinwegzusetzen und die Aufgabe sich vorzustellen, was alles möglich sein könnte.

Das macht Michaud großartig, nachvollziehbar und plausibel. Das Buch entwickelt einen Sog, dem ich mich einfach nicht entziehen konnte.
 

(Dieser Roman, den Michaud schon im Jahr 2012 geschrieben hat, wird in deutscher Übersetzung als Band 1 der Serie Lessard angeboten. Das stimmt nur bedingt, weil es im französischen Original und mittlerweile auch englischer Übersetzung die beiden 2010 und 2011 erschienen Vorgänger gibt. Wer also die Vorgeschichte zu Victor Lessard lesen will muss wohl auf die Ausgaben in nichtdeutscher Sprache zurückgreifen.)