Rezension

Ich bin ich.

Unter dem Polarlicht - Elisabeth Büchle

Unter dem Polarlicht
von Elisabeth Büchle

Bewertet mit 4 Sternen

»Offenbar hat man dir nicht viel über Forster und seine Hütte gesagt?«, merkte die Fahrerin wenig später an. »Um ehrlich zu sein: Meine Informationen beschränkten sich auf "idyllisch, kalt und zugefrorenes Gewässer". Erst kurz vor dem Abflug wurde mir klar, dass ich nicht in die Schweiz, sondern nach Kanada reise.« Rose lachte, drückte Chiaras Hand und meinte zu ihrem Erstaunen: »Prima! Ich denke, ich kann dich getrost bei Forster absetzen. Wer so etwas mitmacht, hält auch ihn aus.«

Chiara Kilian hat zum Glück ein Naturell, das man nicht so leicht erschüttern kann. Denn am letzten Tag der Probezeit - und noch dazu kurz vor Weihnachten - gefeuert zu werden, ist schon ein harter Schlag! Als sie das Angebot bekommt, gegen gute Bezahlung für einen Thrillerautor mit gebrochenen Händen sein Manuskript zu tippen, sagt sie sofort zu und erfährt tatsächlich erst kurz vor dem Abflug, dass er sie in seinem Ferienhaus in Kanada erwartet. Das Ferienhaus stellt sich dann als eine zwar komfortable aber auch äußerst abgelegene Berghütte in den kanadischen Rocky Mountains heraus. Und der Autor ist auch nicht (wie sie annahm) ein älterer Herr, der auf eisigem Untergrund gestürzt ist, sondern ein durchtrainierter Dreißigjähriger nach einem Sportunfall. Chiaras dickes Fell wird ab der ersten Begegnung mit Florian Forster strapaziert, denn dieser entpuppt sich als streitsüchtiger Eigenbrötler, der es sich vor Ort schon mit fast jedem verscherzt hat. Allerdings erzählt Rose, die Besitzerin des Gemischtwarenladens, dass er bis vor vier Jahren ein sehr netter und geselliger Mensch gewesen wäre. Was ist geschehen, das ihn so verändert hat?

 

Ein wirklich schönes Buch ist das! Es lebt sowohl von seinen Charakteren, äußerst witzigen Dialogen und wundervollen Landschaftsbeschreibungen. Die Charaktere (Chiara und Florian), die hier aufeinanderprallen, sind sehr gegensätzlich und jeder auf seine Art reizvoll und sympathisch. Chiara ist vom Aussehen her eine Durchschnittsfrau, mit ein paar Pfund zu viel auf den Hüften und dadurch weit entfernt von Modelmaßen. Aber sie ist eine starke Frau, die ihre Meinung sagt und sich nicht einfach unterbuttern lässt. Und die gelernt hat, dass auch sie besondere Begabungen und Fähigkeiten hat, auch wenn sie nicht gleich ins Auge springen. Allein das ist schon bemerkenswert! Florian hingegen wirkt nach außen unnahbar, mürrisch und unhöflich. Trotzdem erkennt man beim Lesen sofort, dass das nicht sein wahres Ich ist, dass hinter dieser Fassade ein liebenswerter und sehr verletzter Mensch steckt. Gut, das Thema "einer hat einen Schutzpanzer und der andere knackt diesen" ist nicht neu, hier aber sehr schön umgesetzt. 

Im Verlauf der gegenseitigen Annäherung zeigt sich, dass beide einen herrlichen Humor haben und selbstironische und sarkastische Bemerkungen gekonnt einzusetzen wissen. Das Ergebnis sind kleine Wortgefechte, die beim Lesen einfach Spaß machen und mich einige Male richtig zum Lachen brachten.

Ebenfalls zum Lachen brachte mich ein einfach wundervoller vierbeiniger Charakter! In den Neufundländer Shakespeare habe ich mich sofort verliebt und wer Hunde mag, dem wird das ähnlich gehen.

Und dann die Landschaftsbeschreibungen! Einfach großartig! Die tiefverschneite Einsamkeit, das Glitzern des Schnees, die atemberaubenden Polarlichter - herrlich und sehr stimmungsvoll beschrieben!

 

Womit wir beim Stichwort "Stimmung" wären. Diese Geschichte ist nicht nur eine Liebesgeschichte, sie ist auch eine Weihnachtsgeschichte. Sie spielt auch nicht einfach nur zur Weihnachtszeit, sondern der "Geist der Weihnacht" ist ein großes Thema hier. Es geht um Vertrauen, es geht um Verzeihen. Und es geht auch um christliche Begriffe, was ich persönlich sehr schön fand. Denn bei den vielen Konsum- und Weihnachtsmanngeschichten geht die Tatsache, dass Weihnachten seinen Ursprung im christlichen Glauben hat, häufig verloren. Und noch etwas fällt einem zum Punkt Weihnachten immer wieder ein: Die kindliche Vorfreude. Ist es nicht schade, dass die im Zuge des Erwachsenwerdens meist verloren geht? Auch Chiara setzt sich mit diesem Punkt auseinander...

»Warum hatte sie als Erwachsene diese aufgeregte Vorfreude auf Weihnachten eingebüßt? Weshalb ging das Glänzen in den Augen verloren, das begeisterte Lauschen auf das Flüstern der Kerzenflammen und das Rascheln von Geschenkpapier? Wann war das Besorgen der Geschenke für die Menschen, die man liebte, zur Hatz, ja geradezu zur Qual geworden, statt dass man Glücksgefühle dabei empfand?«

 

In der Summe ergibt das ein rundum schönes und vorweihnachtliches Leseerlebnis, das man gerne in einem Rutsch konsumiert und das Buch am Ende zufrieden zuklappt. Dass ich einen Punkt abziehen muss, liegt daran, dass mein persönlicher Romantikgrenzwert an ein paar Stellen überschritten wurde. Einen begeisterten Leser von Liebesromanen dürfte dies aber kaum stören ;-)

 

Fazit: Stimmungsvoll, vorweihnachtlich und mit tollen Charakteren. Kann ich sehr empfehlen!

 

»Ich mache eigentlich gar nichts Besonderes«, flüsterte Chiara verwirrt. »Ich bin doch einfach nur ... da. Ich bin ich.«